Mein Name ist Afra (German Edition)
beobachtete Folchaid, die unbeirrt und scheinbar nicht müde weiter arbeitete und kein einziges Mal aufsah. Trotz ihres unförmigen Körpers, denn sie erwartete in wenigen Wochen ihr viertes Kind, war Folchaid sehr schön, und alle Menschen, Männer und Frauen, hielten den Atem an, wenn sie Folchaid das erste Mal sahen. Mit ihrer zarten, elfenbeinfarbenen Haut, den verträumten, haselnußbraunen Augen mit dem Kranz aus dichten, dunklen Wimpern und ihren vollen, roten Lippen wirkte sie ungewöhnlich, wie eine Fee aus vergangenen Zeiten, die in alten Bäumen lebt und sich den Menschen nur im Traum zeigt. Ihr Gesicht mit den hohen Wangenknochen war fein und ebenmäßig, die dunkelbraunen, üppigen Brauen betonten in leichtem Bogen die Augen, ließen sie noch größer erscheinen, als sie ohnehin schon waren, und ihr maronenfarbenes Haar glänzte im Sonnenlicht wie die Federn einer Wasseramsel nach dem Auftauchen.
Graf Eticho aus der Welfenfamilie in Altdorf sah Folchaid zum ersten Mal, als sie zwölf Jahre alt war, und obwohl sie eine Unfreie war, die er niemals hätte beachten sollen, war er von der Anmut ihrer Bewegungen und ihrem Aussehen so hingerissen, daß er sie gegen den Willen seiner einflußreichen Familie zu seiner Friedelfrau nahm und schon drei Kinder mit ihr hatte. Meine Freundin Richlint war die Zweitgeborene aus dieser Verbindung, mit ihren sieben Jahren zwar jünger, aber trotz ihrer Lebhaftigkeit doch viel ernsthafter als ich, ihr Bruder Ratbod, den alle Rasso riefen, war fünf Jahre älter als Richlint und ein sehr gut aussehender, schweigsamer Junge. Der jüngste Bruder, noch ein Wickelkind, wurde nach seinem Vater Eticho getauft, und in Folchaid lebte deshalb wieder die Hoffnung auf, doch noch die rechtmäßige Frau des Grafen zu werden und ihre Kinder in Freiheit zu sehen, denn die Kinder einer Unfreien waren wie die Mutter Besitz ihres Herrn, ganz gleich, welchen Rang der Vater hatte.
Ich wurde immer müder, und während ich langsam weiter arbeitete, Folchaid´s Vorbild vor Augen, dachte ich an meine Freundin Richlint und die anderen Mädchen, die an diesem schönen Herbsttag von meiner Mutter den Auftrag bekommen hatten, mit den Torfstechern unter der Aufsicht von Wichard, dem Sohn des Burgvogts, zum Moorsee hinauszufahren und Beeren und Pilze zu sammeln, damit für den Winter genügend Vorräte beisammen waren. Vielleicht hätte mir das doch besser gefallen, als hier in der Hitze Heu zusammen zu rechen, und ich freute mich schon jetzt auf den Abend, wenn Richlint und ich wieder zusammen sein und über alles, was sich ereignet hatte, reden konnten.
Mitten hinein in die Stille meiner Gedanken dröhnte plötzlich ein fürchterlicher Schrei in meinen Ohren, laut und schmerzerfüllt klang er, ging in leises, langgezogenes Wimmern über und verhallte dann langsam in der Luft. Voller Unruhe ließ ich den hölzernen Rechen sinken und schaute mich um. Auf dem großen Feld waren alle bei der Arbeit, Frauen und Kinder rechten das Heu zusammen, schichteten große Häufen trockenen Grases, an denen die schweren Ochsenkarren vorbeifuhren und schwitzende Männer die Wagen damit beluden. Niemand außer mir schien diesen lauten Schrei gehört zu haben, keiner schaute auf und unterbrach seine Arbeit. Ich stützte mich auf die Harke und ließ meinen Blick langsam über das ganze Feld gleiten, sah all die vertrauten Gesichter, hörte Rufen und Lachen und das Poltern der Karren, die zum nächsten Heuhaufen fuhren. Die tiefe Unruhe, die der schmerzvolle Schrei in mir ausgelöst hatte, wich langsam, als ich sah, daß alles in Ordnung war und niemand sich verletzt hatte oder vom Wagen gefallen war. Vielleicht hatte ich mich ja getäuscht, es könnte der Ruf eines Brachvogels gewesen sein, vom Winde verzerrt.
Die blaugrauen Augen meines Vaters, der ein Ochsengespann vorbei führte, trafen sich mit den meinen, forschend blickte er mich an, und schuldbewußt ob meines Müßiggangs senkte ich den Kopf und arbeitete weiter, fuhr mit dem Rechen ins trockene Heu, zog es zu mir heran und dann auf den schon recht großen Haufen an meiner Seite. Ich war zwar das erste Mal bei der Feldarbeit dabei, und ich war noch ein Kind, von dem man nicht zuviel erwarten konnte, aber meinen Vater wollte ich auf keinen Fall enttäuschen, er sollte stolz auf mich sein. Bisher hatte ich nur im Dorf mitgearbeitet, im Gemüsegarten der Mutter, beim Spinnen und Weben in den kühlen Grubenhäusern, beim Kochen, beim Beeren - und
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