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Mein neues Leben als Mensch (German Edition)

Mein neues Leben als Mensch (German Edition)

Titel: Mein neues Leben als Mensch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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Tüte. Ich zog in Zeitlupe an dem blöden Salat. Das Blatt wurde immer dicker und größer und unhandlicher, je länger ich daran zog, und schließlich rutschten mit dem Salat ein halbes Ei, ein Tomatenviertel sowie der Käse aus dem Brötchen. Ei und Tomate plumpsten auf den Boden des Abteils, der Käse auf meine Hose. Ich hielt das Salatblatt in der einen und das leere Brötchen in der anderen Hand und starrte die Dame und den Vertreter an. Der sagte: «Sie haben eine interessante Art, Salat zu essen.» Und was tat ich? Aß den Salat, weil ich nicht erklären wollte und konnte, was da gerade genau passiert war.
    Dann nahm ich die Zeitung und las eine kleine Meldung über eine Frau aus Amerika, die das Sorgerecht für ihre achtjährige Tochter verloren hat. Sie hat dem Kind eigenhändig Botox ins Gesicht gespritzt. Mutter und Tochter waren der Meinung, die kleine Britney habe zu viele Falten, um bei einem Schönheitswettbewerb gewinnen zu können. Beide fanden, das Kind brauche deswegen unbedingt Nervengift im Körper. Seltsame Welt.
    Im alten Athen gab es vermutlich kein Botox. Der kluge Sokrates hätte sich ohnehin nichts daraus gemacht. Salat im Käsebrötchen hingegen hätte dem Erstsokratiker vielleicht gefallen. Darauf deutet ein anderes Zitat von ihm hin: «Glücklich sind die Menschen, wenn sie haben, was gut für sie ist.» Und Salat ist ja an und für sich was Gutes. Außer im Käsebrötchen.

Trauer um Gimli
    Sie hatte ein schönes Leben. Gimli. Die adipöse Hamsterin unseres Sohnes Nick verstarb ohne ein Wort des Abschieds. Nick holte sie heute Morgen aus ihrem Haus, um mit ihr den Tag zu begrüßen, aber sie bewegte sich nicht mehr. Bis zu ihrem Ableben hatten die beiden dieses Morgenritual. Er nahm sie dann mit zum Zähneputzen und setzte sie in eine Seifenschale, wo sie ihm bibbernd, aber neugierig bei der Morgentoilette zusah. Nick hielt ihr dann ein Proseminar zum Thema Zahnpflege. Einmal hat er auch versucht, ihre Schneidezähne zu putzen, aber das gefiel ihr nicht. Mag sein, dass ihr die Ausflüge ins Bad nicht besonders lagen, aber sie waren nicht die Ursache für ihre Erkrankung.
    Seit Wochen hatte Gimli eine entzündete Stelle am Bauch. Wir gingen zur Tierärztin, und diese gab uns eine Spritze mit, aus der wir des winzigen Tieres noch winzigere Wunde mit einer Creme versorgten. Die Wunde schloss sich, dann brach sie wieder auf, und zuletzt verklebten Gimlis Augen. Sie fraß nichts mehr, nahm rapide ab, bekam ganz struppiges Fell. Wir spritzten ihr einen Brei in den Mund. Und Nick saß weinend vor ihrem Käfig, hilflos und in grenzenloser Sorge. Schlimm war das. Ich dachte an einen Song von Rocko Schamoni, wo er singt «Leben heißt sterben lernen». Alle Erwachsenen sagen solche Sätze. Kinder begreifen, was der Tod ist, wenn ihre Haustiere ins Gras beißen. Sagt man. Aber ich fürchte, die meisten Menschen, die so etwas sagen, haben keinen kleinen Jungen, der morgens um halb sieben ein totes Nagetier in den Händen hält und ständig fragt: «Warum? Warum? Warum?»
    Er kam mit Gimli ins Schlafzimmer, was ich eigentlich nicht mag, aber das Risiko, dass sie unter die Bettdecke flüchtete oder mir in die Nase biss, war gering, denn sie bewegte sich überhaupt nicht. «Die ist hin», sagte ich mit Kennerblick. Ich habe zwar nicht viel Erfahrung mit dem Tod, aber der Befund schien mir nicht abwegig, zumal Sara dasselbe sagte, worauf Nick in Tränen ausbrach und Gimli auf mein Kopfkissen fallen ließ, gleich neben mein rechtes Ohr.
    Ich versuchte ihn zu trösten und sagte, dass wir einen neuen Hamster kaufen könnten. Keiner würde so sein wie Gimli, schluchzte Nick. Und da hat er wohl recht. Gimli war ganz besonders. Sie hat in ihrem einjährigen Leben an der Seite unseres Sohnes viel mitgemacht und sich niemals beschwert. Nicht einmal, als Nick ihr Fallschirmspringen beibringen wollte.
    Er begann mit leichten Tandemsprüngen vom Apfelbaum, die sie in seiner Hemdtasche und zumindest äußerlich unerschüttert überstand. Dann baute er ihr aus Kordel und einem Handtuch einen Fallschirm und band diesen um ihren Körper. Ich konnte ihn gerade noch daran hindern, Gimli aus dem ersten Stock fallen zu lassen. Aber selbst das hätte Gimli womöglich ebenso überlebt, wie sie die Begegnung mit einer Katze aus der Nachbarschaft unverletzt überstand. Nick hatte seiner Hamsterin einen Beachclub in einem Schuhkarton gebastelt und diesen in den Garten gestellt. Dann ging er ein Eis essen. Als er

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