Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
Angehörige des modernen bürgerlichen Protestlagers mit Abscheu darauf reagieren, wie Schäuble diesen armen Herrn Offer demütigte. Aber auf die von Schäuble ehedem vorangetriebene Vorratsdatenspeicherung reagieren dieselben Menschen mit Achselzucken. Das Einsammeln privater Daten durch den Staat halten gerade in diesen unruhigen Zeiten immer mehr Leute für was? Ja: hinnehmbar.
Überhaupt nicht hinnehmbar hingegen finden viele die Abbildung ihres Heimes im Internet, wobei ich glaube, dass manche Verpixelungsantragsteller nur deshalb Anträge auf Verpixelung stellen, weil sie sehen wollen, wie ein globaler Konzern vor ihnen in die Knie geht. Bedauerlicherweise sehen die Hamburger Stadtteile Harvestehude und Eppendorf nach der Verpixelung halber Straßenzüge aus wie die Umkleidekabinen von C&A.
Und nun ist auch noch Rügen kaputt. Das waren bestimmt diese miesen kulturimperialistischen Typen von Google Street View. Es stand zwar in der Zeitung, der Abbruch eines 10 000 Kubikmeter großen Stückes Kreide von der Steilküste der Ostseeinsel habe natürliche Ursachen gehabt, aber das soll glauben, wer will. Ich glaube eher, da hat jemand einen Antrag auf Verpixelung des Kollicker Ufers gestellt. Und beim Unkenntlichmachen des inkriminierten Steilstücks ist etwas davon abgebrochen und achtzig Meter in die Tiefe gesaust.
Aber nicht nur Google pixelt. Es stand zu lesen, dass Boxsportler ein höheres Risiko haben, an Demenz zu erkranken. So gesehen kann man durchaus zu Recht behaupten, Vitali Klitschko habe zuletzt dem US-Boxer Shannon Briggs ordentlich Gesicht und Gemüt verpixelt, ihn also zumindest vorübergehend milchig und trüb gehauen.
Ich glaube, «verpixelt» hat das Zeug, zum Wort oder wenigstens Unwort des Jahres zu werden. Auch bei uns zu Hause setzt sich der Begriff als Synonym für «ausradiert» oder «verschwunden» allmählich durch, führt allerdings bisweilen noch zu Missverständnissen, die dem pubertär schwachen Hörsinn unserer Tochter geschuldet sind. Ich sagte gestern Abend gegen 22 Uhr zu ihr, sie möge ins Bett gehen, sich also langsam aber sicher mal verpixeln, und sie verstand, ich hätte mir gewünscht, sie möge langsam aber sicher mal verpickeln. Da war sie sauer. Und meine Frau wenig später auch. Sie fragte mich, wo eigentlich die belgischen Pralinen hin verschwunden seien, sie würde sie nicht mehr finden. Ich entgegnete, dass es sein könne, dass ich sie habe verschwinden lassen, dass ich die Pralinen quasi unsichtbar gemacht oder vielmehr verpixelt habe.
Und heute Morgen war dann auch noch unser Haus weg. Sie ist schon gespenstisch und fremd, die Gegenwart.
Unser Sohn ist aufgeklärt
Pünktlich zu Beginn der Adventszeit überraschte uns unser Sohn Nick mit profunden Kenntnissen zum Thema Sexualität. Wir saßen im Auto und fuhren auf Nicks dringende Bitte zu einem Weihnachtsmarkt. Das muss ich nicht unbedingt haben. Diese Dinger sehen überall in Deutschland gleich aus, und es gibt überall dasselbe, außer in Hagen. Dort habe ich mal einen Hot Dog bestellt, und dieser wird am Tor des Sauerlands vor der Überreichung traditionell frittiert. Das habe ich wirklich sonst nirgends erlebt. Aber ansonsten gleichen sich Weihnachtsmärkte sehr zuverlässig, egal, ob man in Erlangen oder in Erfurt oder in Erkelenz oder in Erding darüber geht. Das ist sehr beruhigend. Was wäre wohl los, wenn man wüsste, dass der Weihnachtsmarkt in Erkrath viel schöner wäre als anderswo. Das wäre einem ja auch nicht recht, es sei denn, man lebt in Erkrath.
Was wollte ich noch einmal erzählen? Ach ja, Nick und dieses Sex-Thema. Die Sache begann so, dass Tochter Carla, zwölf, auf dem Rücksitz Halbstarkes von sich gab, was sie sich vermutlich in der Schulpause irgendwo abgelauscht hatte. Sie behauptete, ihr Kaugummi kaue sich wie ’n Präser. Darauf Nick voller Begeisterung: «Was ist denn ein Präser? Kann ich auch ’n Präser haben?»
«Du weißt doch nicht mal, was ’n Präser ist. Und wenn du’s wüsstest, würdest du nicht drauf rumkauen wollen», entgegnete Carla altklug.
«Vielleicht ist der Nikolaus ja auch da», rief ich vorlaut und fing mir damit das genervte Seufzen meiner Tochter ein. Ich mag es, wenn wir auf der Fahrt zum Weihnachtsmarkt über naheliegende Themen reden wie Alkoholismus oder Diabetes. Oder Nikolaus.
Es herrschte kurz Ruhe, und dann fragte Nick: «Was ist denn jetzt ein Präser?»
«Ein Kondom», sagte Carla, um das Thema abzuschließen.
«Ach soooo»,
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