Mein Offizier und Gentleman
hatte, rief sie: „Wie ich mir dachte, Lucy: Deine Schwester ist auch der Ansicht, du müsstest endlich debütieren. Sie schlägt vor, dass wir alle zu Klein Andreas Taufe kommen. Anschließend sollen wir dann sie und Drew nach London begleiten und für ein paar Wochen bei ihnen bleiben.“
„Ach, wird meine süße kleine Nichte getauft?“ Lucy strahlte auf. Diese eine Neuigkeit war ihr am wichtigsten.
„Wie schön! Mir kommt es vor, als hätte ich meine Schwestern seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.“
„Du weißt doch, unmittelbar nach der Geburt mochte Marianne nicht reisen. Aber es ist ja erst sechs Monate her, seit wir dort waren, und vor kaum fünf Wochen hat Jo uns besucht.“
„Mir scheint es länger“, sagte Lucy und beugte sich nieder, um ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange zu drücken. Sie lebte gern mit ihrer Mutter bei der Tante und hatte hier viele Freunde gefunden, doch am glücklichsten war sie stets, wenn sie mit ihren Schwestern zusammen sein konnte. „Wie lieb von Marianne, an uns zu denken.“
Mrs. Horne nickte. „Ich hatte ihren Rat erbeten, weil ich dachte, du könntest in Bath debütieren, doch Marianne fi ndet, dass es London sein muss, Liebes.“
„Ja …“ Lucy war mehrmals mit Mama und Tante Bertha in Bath gewesen. Öffentliche Tanzvergnügen waren dort für sie natürlich nicht infrage gekommen, sondern nur unterschiedlichste Veranstaltungen bei nahen Freunden, aber dadurch hatte sie Erfahrung im gesellschaftlichen Umgang gewonnen. Sie stand ihrem Debüt ein wenig zwiespältig gegenüber, denn sie wusste ja, es wurde für Mädchen allgemein als die Chance betrachtet, einen Gatten zu fi nden. „Mit Marianne wird es viel netter sein“, meinte sie.
„Nun müssen wir deine Garderobe vervollständigen, Lucy“, sagte Mrs. Horne. „Aber vielleicht sollten wir damit warten, bis wir bei Marianne sind. Sie hat einen exzellenten Geschmack und weiß, was junge Mädchen in dieser Saison tragen.“
Lucy war ans Fenster getreten, sie hörte kaum zu. Nicht, dass sie keine hübschen Kleider mochte, doch ihre Gedanken waren gerade bei einer bestimmten Person … es war ein Herr, den sie auf Mariannes Hochzeit kennengelernt hatte. Das schien so lange her, und doch waren es erst drei Jahre. So viel war seither geschehen. Marianne war mit ihrem Marquis glücklich, und Jo hatte Hal Beverley geheiratet.
Immer noch erinnerte Lucy sich ganz deutlich an Captain Harcourts Lächeln und seine Neckereien. Natürlich war er eigentlich Lord Harcourt, aber diesen Titel, der ihm nach dem Tode seines Vaters zugefallen war, führte er erst, seitdem er nach Napoleons Niederlage den Dienst quittiert hatte.
Lucy strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Ihr Haar war nicht goldblond, sondern silbrig wie das Mondlicht, wodurch sie sich von den üblichen Blondinen vorteilhaft unterschied, und ihr zart cremiger, rosig überhauchter Teint betonte ihre ätherische Schönheit. Ihre Augen, blau wie der Sommerhimmel, verdunkelten sich, wenn sie ärgerlich war. Da das jedoch nur selten vorkam, wirkte sie auf den ersten Blick freundlich, sanft und verträumt, vielleicht gar ein wenig zu ruhig. Dieser Eindruck trog allerdings; sie besaß Mut und Durchsetzungsvermögen und zeigte Temperament, wenn sie aufgebracht war. Darin ähnelte sie ihrem Vater, der ein nachsichtiger, bedächtiger und überaus gütiger Mann gewesen war, ruhig und friedliebend – außer eine Ungerechtigkeit erregte seinen Zorn. Als er starb und sie die Pfarrei verlassen mussten, war sie zutiefst bekümmert gewesen. Das alles lag nun hinter ihnen, und vor ihr erstreckte sich eine Zukunft, der Lucy freudig entgegensah, und sie würde nicht so närrisch sein, sich durch kindische Träumereien die Freude an der Saison in London zu verderben.
Sich lächelnd zu ihrer Mutter umwendend, sagte sie: „Ich glaube, ich hätte gern eine gelbe Robe, Mama. Ich sah letztens einen sehr passenden Stoff für ein Ballkleid.“
„Du wirst mehr als ein Kleid benötigen, Lucy, und dank deiner Tante und deinen Schwestern wirst du die passende Garderobe bekommen.“
Jack kam von der Straße herein und warf Hut und Handschuhe auf einen Tisch in der Halle, auf dem auch das Silbertablett mit der eingegangenen Post stand. Stirnrunzelnd nahm er zwei Briefe an sich und begab sich in die Bibliothek.
Der eine kam von Lady Staunton – Amelia, seine einzige Schwester, die er sehr liebte. Im Moment allerdings waren andere als ihre Probleme vorrangig.
Er hatte an diesem
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