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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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gesagt?
    Irgendwann würde er sie schon nehmen, diese verdammten Tabletten. Aber nicht heute.
    Noch Stunden später schämt er sich für die Aufgeregtheit, in welche die E-Mail ihn gestürzt hat. Was für ein genialer Plan, denkt er, erst einmal so zu tun, als wüsste er nichts von der ganzen Sache.
    Garantiert werden irgendwelche Freunde die Sache über kurz oder lang herausbekommen und ihn zur Rede stellen. Solange möchte er die Ruhe genießen.
    Es gibt andere Möglichkeiten, dich hin und wieder an die Tabletten zu erinnern. In die Schublade des Küchentischs wirfst du zu Teelichtern, Pflanzendüngerstäbchen und Kopfschmerzmedikamenten auch die Batterien für den Radiowecker, nicht wahr? Eigentlich spricht nichts dagegen, wenn diese in Zukunft nur noch halb so lang halten, ganz zufällig.
    Scheint fast, als würden du und ich mittlerweile in derselben Liga spielen.
    Jemand klopft ans Fenster.
    Tom hat keine Zeit reinzukommen, wollte nur vorbeischauen, weil er sich Sorgen gemacht habe, und sich vergewissern, dass alles in Ordnung sei. Max hätte ja im Bad ausgerutscht sein können oder ohnmächtig vor dem Bett liegen. Lauter solche Sachen habe er sich ausgemalt, weil Max nicht an sein Handy gehen würde.
    » Aber immerhin haben deine Sorgen dich zu einem Besuch überredet.«
    » Stimmt. Aber in Zukunft lasse ich mich von meinen Ängsten nicht mehr tyrannisieren. Das habe ich mir vorgenommen. Übrigens, was kam jetzt eigentlich raus bei deinen Umfragen? Wie läuft es mit der Trösterei?«
    » Sei da.«
    » Du redest schon wie einer von deinen Qi-Gong-Gurus.«
    » Wir Prediger können halt alle nicht aus unserer Haut. Außerdem ist anderen predigen immer noch die beste Ausrede, das nicht zu tun, was man predigt.«
    » Gut, dann verrat mir das Rezept zum perfekten Trösten. Ich erzähle es auch niemandem weiter.«
    » Bin ich der Papst?« Max erhebt segnend die Hände.
    » Stimmt. Einen Papst im Rollstuhl hatten wir ja erst.«
    » Eben. Also nur so viel: Es tröstet mich, dass du gekommen bist.«
    Tom denkt einen Augenblick nach und nickt dann.
    » O. k., ich hab’s verstanden. Da sein für andere, Suppe kochen, Händchen halten, die Ohnmächtigen wiederbeleben, das ist Trost.«
    » Jetzt hast du’s«, sagt Max. » Alles Getröstetwerden läuft auf die Erfahrung hinaus, nicht allein zu sein. Gehört zu werden, angenommen. Und verstanden. So einfach und so schwierig ist das.«
    Tom steigt auf sein Fahrrad. » Aber eins muss ich dir sagen, die schönste Predigt, die hast du mir vor drei Jahren gehalten, als du die Oper inszeniert hast.«
    » Ich kann mich gar nicht erinnern, zu der Zeit gepredigt zu haben. Eher geflucht.«
    » Genau. Manchmal ist fluchen wirksamer als predigen. Du hast gesagt: ›Bei der letzten Probe ist die größte anzunehmende Katastrophe passiert. Nichts funktioniert. Die Kostüme sind nicht fertig, der Dirigent hat sich mit der Kostümbildnerin überworfen, der Tenor hat einen Blinddarmdurchbruch, aber ich war noch nie so glücklich.‹ – Daran denke ich oft, wenn es mir schlecht geht.«

32.
    Einige merken erst im Kloster, was sie draußen vom Leben hatten.
    Ein Fenster im Erdgeschoss wird aufgestoßen. Eine Nonne in Zivil winkt Rebecca und Max mit beiden Armen zu.
    » Es gibt hier im Kloster wohl keine«, sagt Rebecca, » die so viel redet und gleichzeitig so verschwiegen ist wie Schwester Katharina.«
    Rebecca ist erst vor ein paar Monaten in den Konvent in der Nähe von Bad Tölz eingetreten. Max traf sie zum ersten Mal, als sie gerade ihre Wohnung auflöste. Damals erzählte sie ihm überaus bewegend vom Sterben ihres Verlobten im vorletzten Winter. Mit einer strahlenden Erlösungsgewissheit, die bis zu diesem Tag in ihm nachhallt. Ihr Freund sei zwar nicht geheilt, aber heil geworden am Ende, erklärte sie. Alles, was in ihm zerbrochen gewesen sei, hätte sich zusammengefügt kurz vor dem Tod, trotz der Schmerzen und der Angst. – Deswegen hat Max um ein erneutes Treffen gebeten.
    Nun sitzen sie im Garten des Klosters und wissen nicht recht, was sie miteinander anfangen sollen. Rebecca kann den Tag ihrer Einkleidung kaum erwarten. Und Max bringt es nicht über sich, sie mit seinen Fragen in ihre traurige Vergangenheit zurückzuzwingen. Völlig unmöglich, sie in diesem Zustand zu verhören, ob ihr verstorbener Freund sich selbst als heil empfand oder ob sich die Hinterbliebenen das zu ihrem eigenen Trost zusammengereimt haben. Im Grunde aber ist Max erleichtert, es nie zu erfahren.
    »

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