Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
deswegen zeitlebens ein Muttersöhnchen.«
Der Blick von Max bleibt an einem mit Pfeilen durchbohrten Körper hängen. Sebastian scheint sich in seinem Schmerz zu suhlen. Auch eine Art, damit umzugehen. Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
Wenigstens die Heiligen müssten etwas Tröstliches ausstrahlen, so leidenschaftlich, wie sie angerufen werden. – Doch auch hier findet Max nichts. Nur stoisch ertragener Schmerz auf dem Rost. Die Märtyrer sterben zwar umringt von Zaungästen, aber keiner rafft sich zu einer tröstenden Berührung auf. – Oder hat er die kleinen Gesten übersehen, die Blicke falsch gedeutet? Wahrscheinlich ist der Trost in den Details versteckt, eingewebt in die Schönheit der Komposition, in einen perfekten Faltenwurf oder die Formation der Wolken.
Tom zuckt ratlos mit den Schultern. » Vielleicht ist dein Trostkonzept doch eines der Moderne, vielleicht erst entstanden aus der Innerlichkeit des 19. Jahrhunderts.«
» Hast du das mal in einer Seminararbeit geschrieben?«
Tom schluckt eine Bemerkung hinunter und schweigt.
Max schlägt vor, in der Cafeteria etwas zu Abend zu essen. Wenigstens Essen tröstet zuverlässig. Gutes zumindest. Tom winkt ab.
» Vergiss nicht, die Lebensmittelallergie! Es ist wahnsinnig schwierig, überhaupt noch etwas zu finden, was ich essen darf.« Er wirft einen Blick auf die Armbanduhr. » Verdammt, ich muss los. Bin schon wieder zu spät dran.«
Max fährt alleine in die Cafeteria. War es ein Fehler, Trost auf den Bildern finden zu wollen wie ein Attribut, geht es nicht vielmehr darum, ihm nachzuspüren?
Vielleicht ist es auch zu viel verlangt gewesen, von Künstlern auch noch Tröstung zu erwarten. Deren Leben verlief in der Regel ja eher trostlos.
Plötzlich taucht in seiner Erinnerung ein Bild auf, das Max reiner Trost ist. Johannas Postkarte im Krankenhaus!
Tom radelt währenddessen wie ein Verrückter nach Hause. Sein Sohn wartet schon hinter der Tür mit der gepackten Sporttasche neben sich auf dem Boden. Gemeinsam rennen sie zur Turnhalle um die Ecke. Gerade noch rechtzeitig. Hastig schreibt er seiner Frau eine SMS , dass er seine Vaterpflichten termingerecht erfüllt habe. Dann wieder aufs Rad und zu der evangelischen Kirche im Zentrum. – Verdammt! Er hat schon wieder den Helm vergessen.
Während er sein Rad an einen Laternenpfahl kettet, hört er sie schon. Er ist noch kein einziges Mal pünktlich gekommen, dagegen ist er wohl auch allergisch. Sie singen sich bereits ein, seine Sangesbrüder und -schwestern. Hauptsächlich Schwestern. Er grinst: Tom im Kirchenchor. Seine Mutter würde sich freuen, das zu erfahren. Gerade deswegen hat er sich bislang nicht getraut, es ihr zu sagen. Um sie nicht enttäuschen zu müssen, falls er auch dieses Experiment abbrechen würde. Wie das mit dem Fitnessstudio, dem Yogaunterricht, dem gemeinsam mit seiner Frau begonnenen Kochkurs. Drei Monate hat er sich gegeben, zwei sind schon vorbei. Etwas verspätet, aber immerhin, steht kurz vor Pfingsten die Matthäuspassion auf dem Programm. – Da hätte Max doch seinen Trost: Bach. Reiner geht es nicht!
Eine Probe in der Woche würde bald nicht mehr reichen, meinte die Chorleiterin beim letzten Mal. Singen hieße in erster Linie Disziplin, und dann erst Vergnügen. Solche schweren Sätze sagt sie ganz leicht dahin. Sei’s drum. Tom stemmt die schwere Kirchentür auf. Er kann die Töne fast atmen, hört sogar einzelne, vertraute Stimmen heraus. Die besonders eifrigen Sopranistinnen. Tom lässt seine Tasche von der Schulter gleiten und schleicht sich von hinten an seinen Platz in der zweiten Reihe. Bereitwillig und mit einem Lächeln macht man ihm Platz.
Nein, er würde hiermit nicht aufhören. Singen, schießt ihm durch den Kopf, ist tausendmal tröstender als weinen.
30.
Ein Heilu n gsangebot abzulehnen, macht manch einem richt i g Spaß.
Sylvia ruft aufgeregt an: ER käme nach Deutschland!
Max braucht ein paar Sekunden, um sich zu erinnern, dass es sich – laut seiner Freundin – bei IHM um den größten Heiler aller Zeiten handelt. Ein Jesuitenmönch aus Brasilien, in den abwechselnd der Heilige Geist und längst verstorbene Mediziner fahren, um ihn beim Wundervollbringen anzuleiten. Da könnten alle anderen Heiler einpacken. Und nun käme er nach Deutschland, direkt zu ihnen, also nicht direkt, sondern nach Mannheim, aber wäre das nicht trotzdem ein Zeichen?
» Du und ich, wir werden gemeinsam zur Kongresshalle
Weitere Kostenlose Bücher