Mein schwacher Wille geschehe
zur Welt.
Zeno Cosini, der wohl berühmteste Raucher der Weltliteratur, dessen lasterhaftes Tun der im Triest der k.u.k.-Zeit geborene Italo Svevo so ausführlich wie spielerisch hintertrieben im gleichnamigen Roman schildert, raucht das vom Vater gestohlene Päckchen in kurzer Zeit hintereinander weg, weil er das Diebesgut nicht lange bei sich behalten möchte. Selten bereitet das unerlaubte Rauchen das erhoffte Vergnügen. Zur Angst vor der Entdeckung durch die Eltern gesellt sich die Scham vor Gleichgesinnten. Einmal begehen die Kinder ein heimliches Wettrauchen, das Zeno gewinnt. Nur mühsam vermag er die bald darauf einsetzende Übelkeit zu verbergen, während der unterlegene Spielkumpan anschließend auch noch das Siegesgefühl davonträgt. »Mir macht es gar nichts, dass ich verloren habe. Ich rauche nur, so lange es mir Spaß macht.« 2
Zeno Cosini war zu keinem Zeitpunkt ein Spaßraucher. Die umfangreiche Literatur, die bei der Befreiung von der Nikotinsucht helfen will, versäumt nicht, unablässig darauf hinzuweisen, dass die propagierte Freude am Rauchen eine Illusion ist, sei es aus durchschaubaren Marketinggründen, sei es infolge komplexer Konstruktionen von Selbstbetrug. Zeno Cosini ist ein Meister von Techniken, die es ihm ermöglichen, das eigene Bewusstsein |38| zu hintergehen. Als junger Erwachsener kann er selbst dann nicht vom Nikotin lassen, als ihn eine Krankheit ans Bett fesselt. »Damals konnte ich noch nicht sagen, ob ich die Zigarette, ihren Geschmack und den Zustand, liebte oder hasste. Später habe ich verstanden, dass ich das alles hasste, was die Sache noch viel schlimmer gemacht hat. (...) Als der Arzt fort war, blieb mein Vater noch bei mir (meine Mutter war schon seit vielen Jahren tot), rauchte seine Zigarette und leistete mir ein wenig Gesellschaft. Bevor er fortging, legte er leicht die Hand auf meine glühende Stirn und sagte: ›Nicht rauchen, du!‹ Da kam über mich eine ungeheure Erregung. Ich dachte: Es schadet mir, ich will es nie mehr tun. Nur ein einziges und letztes Mal will ich noch rauchen. – So zündete ich mir eine Zigarette an. Sofort verließ mich jede Erregung, obwohl das Fieber noch stärker wurde, und ich bei jedem Zug meine Kehle brennen fühlte, als würde ein glühendes Holzstück hineingestoßen.«
Die inneren Kämpfe um Rauchen und Nichtrauchen sind der Klassiker jener charakterlichen Ambivalenz, die wir Willensschwäche nennen. Jeder hat Erfahrungen mit der Nikotinzufuhr gesammelt, und sei es auch nur in einer kurzen Phase seines Lebens. Irgendwann einmal, auf dem langen Weg des Erwachsenwerdens, hat man es probiert. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert gehört Rauchen zur Geschichte des Aufwachsens. Das ist paradox genug. Das illegitime Zeichen der Zugehörigkeit zur Welt der Erwachsenen ist zugleich Ausdruck einer gefährlichen und oft lebenslangen Abhängigkeit. Der Drang nach Unabhängigkeit und Eigenständigkeit bringt eine schwer wieder los zu werdende körperliche Bindung hervor. »Schon aus diesen meinen Aufzeichnungen geht hervor«, heißt es in
Zeno Cosini
, »dass mir ein ungestümer Drang innewohnt, besser zu werden. Und dieser Drang wird mir immer innewohnen, worin ja mein allergrößtes Unglück besteht.«
In
Zeno Cosini
wird ein ganzes Bündel psychologischer Ur-Szenen |39| ausgebreitet, die den Raucher als modernes Individuum im Selbstbehauptungskampf zeigen. Der kindliche Übermut, väterlicher Autorität zu trotzen, erfasst den Körper des Heranwachsenden unmittelbar. Zugleich erlebt Zeno Cosini die Schwäche des Vaters, weil dieser glaubt, allmählich den Verstand zu verlieren: Er konnte einen abgelegten Zigarettenstummel, den Zeno aufgeraucht hatte, nicht wiederfinden. Während die Lüge lediglich Schamesröte in die Wangen treibt und ein Diebstahl kaum mehr als ein flaues Gefühl in der Magengegend bereitet, überwältigt die Übelkeit, die das Rauchen verursacht, den ganzen Körper. Der junge Raucher erfährt die Erregungen eines doppelten Schwindels. Er übertritt ein elterliches Verbot und macht eine erste körperliche Grenzerfahrung.
Mit dem Rauchen erlernt der junge Mensch allerdings auch das Umgehen eines Verbots: Es wird zur Gewohnheit. Die einstige Überschreitung nimmt als Wiederholung Gestalt an und formt sich zu einem persönlichen Stil. Aber trotz aller kulturellen Adaption bleibt eine dauerhafte Verbindung zum Gewissen. Im Zusammenhang mit dem Rauchen sprechen wir gleichermaßen von schlechter Angewohnheit und
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