Mein schwacher Wille geschehe
aufgehoben. Die eigenen Geldstile sind da deutlich prekärer. (Siehe die Kapitel
Durch den
Konsum, über die Verhältnisse
) Was man fraglos als mangelnde Selbstdisziplin, Antriebsschwäche oder mentales Chaos beschreiben könnte, hat andererseits auch etwas von einer inneren Rebellion. Je unerbittlicher der Apparat, desto heftiger die Aversion. In den bürokratischen Alltag ragen archaische Reste hinein. Der nach geordnetem Schaltplan funktionierenden Maschine steht ein hilfloses Wesen mit pochendem Herzen gegenüber. Die vielen irrationalen Zuwiderhandlungen gegen die Anordnungen des Amtes folgen dem Gestus kleiner Aufstände.
Zum gegenseitigen Unverständnis zwischen Individuum und Behörde tragen wohl auch die Kommunikationsformen bei. Das Finanzamt schreibt auf standardisierten Vordrucken, die altmodisch erscheinen und autokratisch klingen. Die tatsächliche Kommunikation, ein Telefonat oder gar ein persönlicher Termin, soll |33| durch einen strengen, apodiktischen Ton scheinbar unterbunden werden. Die Behörde legt Wert auf die hohen Mauern des Schriftlichen.
So gesehen kann die strenge Autorität eines Amtes auch etwas Beruhigendes haben. Das Regelmäßige, mit dem die wirtschaftsbürgerliche Pflicht vom Finanzamt eingefordert wird, gewährt Kontinuität und Halt. Mehr als die herumgebrachten Lebensjahre zählen im fortgeschrittenen Alter die absolvierten Wirtschaftsjahre. Wenn der Inhaber einer Steuernummer schließlich seinen Bescheid in der Hand hält, wird er sich im Anflug eines kleinen, na ja, Glücksgefühls, eingestehen, dass der Schrecken des Amtes so groß nun auch wieder nicht ist. Zum Charakterbild der Aufschiebekünstler gehört es, sich das drohende Grauen vor der selbstauferlegten Handlung besonders düster auszumalen. Ist es vollbracht, nehmen wir bevorzugt die distanzierte Haltung des Forschers ein. Warum zeigen wir uns gegenüber der Aufforderung, unsere Einkünfte zu offenbaren, so schwerfällig und zäh? Und warum bewahren wir das zur Buchhaltung nötige Papier in so merkwürdigen Behältnissen auf?
Es gibt viele blinde Flecke beim Umgang mit unseren Schwächen. Und alle Ordnungssinn-Filialen und Simplify-Agenturen haben die Zettelberge auf dem Schreibtisch und im Bewusstsein nicht abbauen können. Zumindest zur Sache mit dem Pappkarton seien ein paar Hinweise erlaubt. Eine wichtige Spur zu dessen Geheimnis hat der Schweizer Architekturhistoriker Siegfried Giedion gelegt. Die Neigung des Menschen zum Provisorischen machte Giedion bereits in der mittelalterlichen Lebenswelt aus. Der Pappkarton mit den Steuerpapieren wäre demnach eine Art Wachhalten des Fluchtinstinkts. Eine »tiefe ökonomische Unsicherheit«, schreibt Giedion in seinem Werk
Die Herrschaft der
Mechanisierung
, »veranlasste die Kaufleute und Feudalherren, ihre Habe soweit als möglich mit sich zu nehmen, wusste doch keiner, welche Veränderungen kamen, wenn die Tore sich hinter |34| ihm schlossen. So kommt es, dass im Wort Möbel der Begriff des Beweglichen, des Transportablen tief eingewurzelt ist.« 1 So schwer das solide verarbeitete Holz in den frühen Jahren des Handwerks auch erscheinen mochte, kommt es bei Möbeln doch immer darauf an, wie gut sie zu verstauen sind. »Leicht transportfähig war vor allem das verbreitetste Möbel des Mittelalters: die Truhe. Sie bildete den Grundstock und fast das Hauptelement der mittelalterlichen Einrichtung. Sie diente als Behälter für die ganze bewegliche Habe. Kein anderes mittelalterliches Möbel ist in so vielen Exemplaren erhalten geblieben. Truhen konnten gleichzeitig als Reisekoffer benutzt werden. Der Hausrat war in ihnen stets fertig verpackt. Man war sozusagen immer auf dem Sprung. In dem nomadischen Möbel zeigt sich das politische Chaos der Zeit.«
Im Pappkarton mit den Steuersachen zeigt sich das nie erloschene Bedürfnis, gegebenenfalls auch verschwinden zu können. Die stets wache Absicht, sich im Ernstfall aus dem Staub zu machen, unterhält heute den gesamten Berufsstand der Wirtschafts- und Steuerberater. Indem man ihnen die lockeren Belege anvertraut, beweist man sich seine eigene Flexibilität. Wie sehr das gesellschaftliche Ganze von solch archaischen Instinkten durchdrungen ist, zeigten die ersten Fernsehbilder von der Finanzkrise im Herbst 2008. Den unter ihrer Schuldenlast zusammengebrochenen Banken blieb nichts anderes übrig, als ihre Mitarbeiter zu entlassen. Diese hatten demütig ihre Schreibtische geräumt und ihre Habseligkeiten in kleinen
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