Mein Sommer nebenan (German Edition)
Wohnzimmer. Genau der richtige Ort für einen Mann, um nach einem langen harten Arbeitstag die Füße hochzulegen.«
Mom strahlt. Sie ist stolz auf unser Haus und stellt ständig die Möbel um oder streicht die Wände neu, um alles noch perfekter zu machen. Er tritt ein, schaut sich aufmerksam um, bewundert die riesigen Landschaftsgemälde an den makellos weißen Wänden, mustert die cremefarbene Couch, die mit so vielen Kissen dekoriert ist, dass kaum Platz zum Sitzen übrig bleibt, und lässt sich schließlich in einen der großen Armsessel vor dem Kamin fallen. Überrascht ziehe ich die Brauen hoch und beobachte mit angehaltenem Atem Moms Gesicht. Ihre Dates enden für gewöhnlich an der Türschwelle. Um genau zu sein, gab es so etwas wie Dates in ihrem bisherigen Leben als Mutter eigentlich gar nicht.
Aber statt wie sonst auf die Uhr zu schauen, »Ach, du liebe Güte, schon so spät?« zu rufen und ihn höflich zur Tür hinaus zu komplimentieren, kichert sie wie eine verknallte Sechzehnjährige, spielt mir ihrem Perlenohrring und säuselt: »Ich mache uns schnell einen Kaffee.«
Sie will gerade in die Küche gehen, als Clay Tucker aufspringt, zu mir kommt und mir eine Hand auf die Schulter legt. »Samantha«, sagt er. »Du siehst mir nicht wie ein Mädchen aus, das sich von seiner Mom bedienen lässt, sondern wie eines, das ihr einen schönen starken Kaffee kocht, wenn sie nach der Arbeit erschöpft nach Hause kommt …«
Mir steigt die Hitze ins Gesicht und ich trete unwillkürlich einen Schritt zurück. Wenn Mom abends spät nach Hause kommt, koche ich ihr tatsächlich meistens einen Tee. Das ist eine Art Ritual. Aber mir hat niemand je gesagt, dass ich es tun soll . Fast glaube ich, mich verhört zu haben. Schließlich habe ich diesen Typen erst vor – keine Ahnung – zwei Sekunden kennengelernt. Gleichzeitig ärgere ich mich, so wie ich mich ärgere, wenn ich bei einer Mathearbeit vergessen habe, die Aufgabe zu lösen, für die es Extrapunkte gibt, oder wenn ich meine frisch gewaschene Wäsche ungefaltet in die Schublade gestopft habe. Ich stehe da und ringe nach einer Antwort, aber mir fällt partout nichts ein. Schließlich nicke ich und gehe in die Küche.
Während ich das Kaffeepulver abmesse, höre ich aus dem Wohnzimmer Murmeln und gedämpftes Lachen. Wer ist der Kerl?, frage ich mich. Kennt Tracy ihn schon? Vermutlich nicht, sonst wäre ich nicht das große Mädchen . Außerdem verbringt Tracy, seit sie letzte Woche den Abschluss gemacht hat, jede freie Minute bei Flip auf dem Tennisplatz, um ihn anzufeuern oder knutscht mit ihm in seinem Cabrio in unserer Einfahrt, während Mom noch unterwegs ist.
»Schatz? Ist der Kaffee schon fertig?«, ruft Mom. »Clay braucht dringend eine Stärkung. Er macht kaum noch ein Auge zu, seit er mich in meinem Wahlkampf unterstützt.«
Scheint ja auch ein echter Fulltimejob zu sein …
Ich gieße den frisch gebrühten Kaffee in zwei Tassen, stelle sie auf ein Tablett, gebe noch Milch, Zucker und Servietten dazu und kehre ins Wohnzimmer zurück.
»Ach, Schatz, sei doch so lieb und bring Clay einen von den großen Kaffeebechern, ja?«
»Den größten, den du finden kannst, Samantha«, fügt er breit lächelnd hinzu und hält mir eine der beiden Tasse hin, die ich gerade gebracht habe. »Ich funktioniere nur mit Koffein. Eine meiner Schwächen.« Er zwinkert mir zu.
»Du wirst Samantha lieben, Clay«, sagt Mom, als ich wieder aus der Küche komme und ihm den gewünschten Becher hinstelle. »Sie ist unglaublich clever. Im letzten Jahr hat sie ausschließlich Leistungskurse belegt und alle mit Bestnote abgeschlossen. Sie war im Komitee für das Jahrbuch, schreibt für die Schülerzeitung, gehörte zu den Besten im Schwimmteam … mein Mädchen ist ein richtiger kleiner Star.« Mom schenkt mir eines ihrer echten Lächeln, das bis zu ihren Augen reicht. Zögernd erwidere ich es.
»Wie die Mutter, so die Tochter«, sagt Clay, worauf der Blick meiner Mutter zu ihm zurückwandert und dort wie gebannt hängen bleibt. Sie sehen sich vielsagend an und Mom geht zu ihm und setzt sich auf die Armlehne des Sessels. Eine Sekunde lang frage ich mich, ob ich überhaupt noch im selben Raum mit ihnen bin. Offensichtlich kann ich gehen. Umso besser. Es rettet mich davor, die Beherrschung zu verlieren und Clay seinen dämlichen Becher mit dem heißen Kaffee in den Schoß zu kippen oder Mom irgendetwas Eiskaltes ins Gesicht zu schütten.
Geh ran! Geh schon ran!, flehe ich in die
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