Mein Sommer nebenan (German Edition)
beruhigend den winzigen Rücken rieb. Es war, als würde ich einen Stummfilm schauen, in dem Dinge passierten, die ich aus meinem eigenen Leben nicht kannte.
Mit der Zeit wurde ich mutiger. Manchmal beobachtete ich sie sogar tagsüber nach der Schule, mit dem Rücken an die rauen Giebel gelehnt, und versuchte die Namen, die ich durch die Fliegengittertür hörte, den einzelnen Garretts zuzuordnen. Es war nicht einfach, sie zu unterscheiden, weil alle in der Familie schlank waren, gelockte braune Haare und einen dunklen Teint hatten.
Joel, der älteste und sportlichste unter den Geschwistern, war am einfachsten zu erkennen. Sein Foto tauchte oft in den Lokalzeitungen auf, wenn er mal wieder irgendeinen Wettkampf gewonnen hatte. Alice, die zweitälteste, färbte ihre Haare gern bunt und handelte sich mit ihrem provozierenden Kleidungsstil häufig seufzende Kommentare von Mrs Garrett ein. Sie war also ebenfalls leicht von den anderen zu unterscheiden. George und Patsy waren die kleinsten. Die mittleren drei Jungs – Jase, Duff und Harry – konnte ich nicht auseinanderhalten. Ich war mir ziemlich sicher, dass Jase der älteste von den dreien war, aber bedeutete das auch automatisch, dass er der größte war? Duff schien der klügste zu sein. Er bestritt erfolgreich Schachturniere und Rechtschreibwettbewerbe, trug aber weder eine Brille noch sonst irgendwelche der Attribute, die Intelligenzbestien für gewöhnlich auszeichnen. Harry brachte sich ständig in irgendwelche Schwierigkeiten – »Harry! Wie konntest du nur?«, hieß es dann immer. Und Andy, das mittlere Mädchen, schien regelmäßig zu verschwinden. Ihr Name wurde immer am längsten gerufen, wenn Essenszeit war oder ein Familienausflug anstand: »Aaaandyyyyy!«
Von meinem heimlichen Beobachtungsposten aus, hielt ich nach Andy Ausschau, versuchte herauszufinden, was Harry wieder angestellt hatte, oder was Alice diesmal für ein anstößiges Outfit trug. Die Garretts waren meine ganz persönliche Gutenachtgeschichte, und ich hätte lange Zeit niemals geglaubt, dass ich selbst eines Tages Teil dieser Geschichte werden würde.
Zweites Kapitel
E s ist der erste drückend heiße Juniabend des Jahres und ich bin allein zu Hause. Aber statt die Ruhe zu genießen, tigere ich unruhig von einem Zimmer ins andere.
Tracy ist mit ihrem Freund Flip unterwegs – einem blonden Tennisspieler, der sich durch nichts von seinen unzähligen Vorgängern unterscheidet. Ich habe versucht, meine beste Freundin Nan zu erreichen, aber die hat seit Beginn der Schulferien nur noch ihren Freund Daniel im Kopf, der gerade seinen Highschool-Abschluss gemacht hat. Im Fernsehen läuft nichts, was mich interessiert, Lust in die Stadt zu fahren habe ich auch nicht. Eine Weile saß ich auf der Veranda, habe es dort aber auch nicht lange ausgehalten, weil mir die bei Ebbe feuchtschwüle, leicht brackig riechende Luft, die vom Fluss herüberweht, zusetzte.
Mittlerweile sitze ich im Wohnzimmer, kaue auf einem Eiswürfel herum, der von meinem Mineralwasser übrig geblieben ist, und blättere in der In Touch , die Tracy auf dem Sofa liegen gelassen hat. Plötzlich höre ich einen durchdringenden Summton. Stirnrunzelnd hebe ich den Kopf und blicke mich suchend nach der Geräuschquelle um. Der Wäschetrockner? Der Rauchmelder? Schließlich wird mir klar, dass es die Klingel ist. Seufzend stehe ich auf und gehe zur Tür. Vermutlich ist es mal wieder einer von Tracys Exfreunden, der sich im Country Club mit Strawberry Daiquiris Mut angetrunken hat, um ihr Herz zurückzugewinnen.
Stattdessen sehe ich durch die Scheibe meine Mutter, die mit dem Rücken gegen den Klingelknopf gepresst wird und wild mit einem fremden Mann knutscht. Als ich die Tür aufreiße, geraten die beiden kurz ins Straucheln, dann stützt der Mann sich mit der Hand am Türrahmen ab und küsst sie einfach weiter. Ich stehe mit verschränkten Armen da und komme mir ziemlich blöd vor. Die schwüle Luft ist von Sommergeräuschen erfüllt. Das leise Branden der Wellen in der Ferne, das Knattern eines Motorrads, das gerade die Straße entlangfährt, das Rauschen des Winds in den Bäumen. Nichts davon – schon gar nicht meine Anwesenheit –, lässt meine Mom oder diesen Typen innehalten. Sie hören noch nicht einmal auf, sich zu küssen, als das Motorrad mit einer Fehlzündung in die Einfahrt der Garretts biegt, was Mom normalerweise in den Wahnsinn treibt.
Als sie sich schließlich nach Atem ringend doch voneinander lösen,
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