Mein Sommer nebenan (German Edition)
Leitung, bis ich am anderen Ende endlich ein Klicken höre. Aber es ist nicht Nan, sondern ihr Bruder Tim. »Villa Mason«, meldet er sich. »Falls du es bist, Daniel – Nan ist mit einem anderen Typen unterwegs, der einen größeren Schwanz hat als du.«
»Ich bin nicht Daniel«, kläre ich ihn auf. »Aber stimmt es wirklich? Dass sie nicht zu Hause ist, meine ich. Wieso gehst du an ihr Handy?«
»Natürlich ist sie da. Sie kann von Glück sagen, dass sie Daniel abgekriegt hat, auch wenn das echt scheißtraurig ist.«
»Wo ist sie?«
»Treibt sich irgendwo im Haus rum«, antwortet Tim träge. »Ich bin hier … in meinem Zimmer. Hast du dich eigentlich schon mal gefragt, wozu die Haare auf den Zehen gut sind?«
Tim ist mal wieder breit. Ich schließe die Augen. »Könntest du Nan bitte ans Telefon holen?«
Tim zieht los, um sie zu suchen. Zehn Minuten später warte ich immer noch.
Ich lege auf, lehne mich in mein Kissen zurück und starre eine Weile an den Deckenventilator. Dann öffne ich mein Fenster und klettere aufs Dach hinaus.
Wie gewöhnlich brennt im Haus der Garretts fast überall Licht. Auch in der Einfahrt, wo Alice, ein paar ihrer knapp bekleideten Freundinnen und einige der Garrett-Jungs eine abendliche Runde Basketball spielen. Gut möglich, dass auch noch der eine oder andere Freund der Mädchen dabei ist. In dem Gedränge von Jugendlichen, die dort unten um den Ball kämpfen, ist das schwer zu sagen. Aus den iPod-Lautsprechern, die auf den Verandastufen aufgebaut sind, dröhnt laute Musik.
Basketball ist eigentlich nicht mein Ding, aber es sieht aus, als würden sie Spaß haben. Ich werfe einen Blick ins Wohnzimmer und sehe Mr und Mrs Garrett. Sie beugt sich gerade über die Rückenlehne des Sessels, in dem er sitzt, und sieht ihm über die Schulter, während er ihr etwas in einer Zeitschrift zeigt. Im Zimmer des Babys brennt auch noch Licht, obwohl es schon relativ spät ist. Ob Patsy vielleicht Angst im Dunkeln hat?
»Hey« , ertönt direkt unter mir plötzlich eine Stimme.
Vor Schreck verliere ich beinahe das Gleichgewicht. Im nächsten Moment schließt sich eine stützende Hand um meinen Knöchel, und ich höre ein raschelndes Geräusch, als ein Junge das Blumenspalier hochklettert und zu mir aufs Dach kommt. An meinen Geheimplatz.
»Hey«, sagt er noch mal und setzt sich dann neben mich, als würde er mich gut kennen. »Musst du gerettet werden?«
Drittes Kapitel
I ch starre den Jungen an. Es ist nicht Joel – den hätte ich erkannt –, aber unübersehbar ein Garrett. Nur welcher? So aus der Nähe und im Licht, das aus meinem Zimmerfenster nach draußen fällt, wirkt er größer und schlanker als seine Brüder. In seinen lockigen hellbraunen Haaren schimmern ein paar sonnengebleichte, goldene Strähnen.
»Warum sollte ich gerettet werden müssen? Das ist mein Haus, mein Dach.«
»Ich musste nur gerade an Rapunzel denken, als ich dich hier oben entdeckt habe«, sagt er achselzuckend. »Du weißt schon, die Prinzessin, die in diesem Turm gefangen gehalten wird. Die hat doch auch lange blonde Haare und … na ja …«
»Ach, und wer wärst dann du?« Ich weiß, dass ich zu lachen anfange, wenn er sagt: »Der Prinz.«
»Jase Garrett«, antwortet er stattdessen und streckt mir die Hand hin, als wären wir in einem Bewerbungsgespräch fürs College und würden nicht spätabends spontan auf meinem Dach sitzen.
»Samantha Reed.« Trotz der mehr als merkwürdigen Situation schüttle ich ihm höflich die Hand.
»Ein sehr prinzessinnenhafter Name«, sagt er mit einem Nicken und lächelt mich an. Er hat strahlend weiße Zähne.
»Ich bin keine Prinzessin.«
Er betrachtet mich aufmerksam. »Klingt, als würdest du darauf großen Wert legen. Gibt es noch etwas, das ich auf jeden Fall über dich wissen sollte?«
Die ganze Unterhaltung ist vollkommen surreal. Schon die Tatsache, dass Jase Garrett überhaupt etwas über mich wissen will, kommt mir total absurd vor. Aber statt ihm genau das zu sagen, erwidere ich zu meiner eigenen Überraschung: »Hm, ja. Zum Beispiel, dass ich vor ein paar Minuten das dringende Bedürfnis hatte, jemandem, den ich gerade erst kennengelernt habe, körperlichen Schaden zuzufügen.«
Jase lässt sich mit seiner Antwort Zeit, als würde er seine Gedanken genau abwägen. »Tja, also«, sagt er schließlich, »ich könnte mir vorstellen, dass es eine Menge Prinzessinnen gibt, die dieses Bedürfnis schon mal verspürt haben … Stichwort arrangierte Ehen und
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