Mein Tag ist deine Nacht
da?«
Er klang verzweifelt, und ich wollte ihn mehr als alles andere in der Welt halten und ihm sagen, dass alles gut sei. Aber ich gestand mir endlich selbst ein, dass das nicht stimmte. Es könnte nie gut sein. Ich hatte in der lächerlichen Hoffnung gelebt, dass ich es hinbekäme, gleichzeitig zwei Personen zu sein. Ich hatte ihn und Laurens Familie angelogen. Ich war, wenn auch unabsichtlich, eine Betrügerin, und für jemanden so Wundervolles wie Dan nicht gut genug.
»Ich bin nicht die, für die du mich hältst«, sagte ich schließlich. »Seit dem Blitzschlag führe ich gleichzeitig das Leben zweier Personen. Eine gewisse Zeit bin ich Jessica, aber wenn ich schlafe, geht meine Lebenskraft auf eine Frau namens Lauren über. Sie ist Mutter von vier Kindern, Dan. Und die Freundin, die heute Mittag bei mir war, ist ihre Schwester … meine Schwester.«
Dan stand mit offenem Mund da. Ich tat ihm schrecklich weh, das wusste ich. Nach dem, was seiner Mutter passiert war, blieb ihm nichts anderes übrig, als zu denken, ich sei verrückt, und dieses Wissen war für mich so schmerzvoll, als würde man mir einen Pfahl durchs Herz treiben.
»Du brauchst Hilfe«, meinte er zittrig. »Es gibt Ärzte, die dir helfen können, Jessica.«
»Nein. Da kann niemand helfen, ich wollte dir nicht weh tun, Dan. Es tut mir leid, dass ich dir das alles nicht schon früher erzählt habe, aber ich wusste, du würdest es nicht verstehen. Niemand kann etwas tun, um mir zu helfen.«
Dan legte zögernd seine Hand auf meine Schulter, und ich rieb meine Wange an seinem Handrücken, schloss die Augen, als ich seine Haut, warm und fest an meiner, das letzte Mal fühlte, wie mir in dem Moment bewusst wurde.
Ich merkte, wie mir die Tränen kamen, aber ich kämpfte dagegen an. Ich drehte mich zu ihm um, um in unseren, wie ich befürchtete, letzten gemeinsamen Augenblicken zu ihm aufzusehen.
Sein Gesicht war grau und eingefallen. Ich konnte die Trauer sehen, die sich tief in sein Innerstes eingegraben hatte, und wusste, dass ich verantwortlich dafür war. »Das ist eine Art multiple Persönlichkeitsstörung«, flüsterte er ängstlich. »Damit kannst du dich an jemanden wenden …«
»Ich habe dir doch gesagt, das ist keine Störung, es ist die Wahrheit! Ich führe wirklich das Leben zweier verschiedener Personen!«
»Nein, Jessica! Das ist unmöglich. Du musst mit jemandem darüber sprechen …«
»Mach’s gut, Dan«, murmelte ich, schlüpfte unter seiner Hand hinweg und begab mich zur Tür. »Sag deinem Vater, dass ich ihn toll finde … und Dan?«
»Ja?«
»Kümmere dich um Frankie, bitte.«
Ich war mir nicht sicher, was mich dazu veranlasste, ihn um diesen Gefallen zu bitten, es war ein Bauchgefühl … etwas, das ich nicht genau benennen konnte – ein sechster Sinn, dass sie bei ihm besser aufgehoben sei, zumindest für diese Nacht. Während des langen Marsches nach Hause fing es zu regnen an. Es begann als ein feuchtes Flüstern an meiner Haut, das allmählich zunahm, bis ich mir Tropfen von den Wimpern wischen musste. Die Kälte spürte ich kaum, dafür fühlte ich mich schon zu taub. Bis ich meine Wohnung erreicht hatte, waren meine Kleider völlig durchgeweicht, und meine Schuhe patschnass. Ohne auch nur daran zu denken, mir trockene Sachen anzuziehen oder das Licht einzuschalten, schloss ich die Tür hinter mir und ließ mich aufs Sofa fallen, wo ich den Kopf in meinen Armen vergrub.
Als ich mittags in Laurens Bett erwachte, hörte ich den Regen gegen das Schlafzimmerfenster trommeln. Laurens Dasein war auch nicht viel verlockender als Jessicas, und bevor ich überhaupt die Augen aufschlug, begann ich schon, haltlos zu schluchzen, drückte das gerüschte Kissen an mich und rollte mich darum herum wie ein Kind.
Nach einer Weile hörte ich ein Klopfen an der Schlafzimmertür, und Karen fragte, ob alles in Ordnung sei.
Ich setzte mich auf und wischte mir laut schniefend die Nase am Handrücken ab.
»Du kannst reinkommen«, krächzte ich und umklammerte das Kissen wie einen Schutzschild.
»Was in aller Welt ist passiert?« Sie eilte durch den Raum und setzte sich zu mir auf die Bettkante.
»Ich habe Dan reinen Wein darüber eingeschenkt, was ich gerade erlebe, und nun hält er mich für verrückt«, schniefte ich unter Tränen. »Ich meine, das muss er doch, oder nicht? Niemand von klarem Verstand würde solch eine Geschichte für möglich halten. Das würde ich ja selbst nicht, wenn ich das alles nicht am
Weitere Kostenlose Bücher