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Mein Tag ist deine Nacht

Mein Tag ist deine Nacht

Titel: Mein Tag ist deine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rose
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bäte sie mich stumm, mich an sie zu erinnern, und als ich mit der Zunge leicht über die aufgesprungenen Lippen fuhr, griff sie umgehend nach dem Plastikbecher mit dem Strohhalm.
    Toby wirkte wie jeder andere Vierjährige: gelangweilt darüber, in dem faden Krankenhauszimmer festzusitzen, und bereit, aus allem ein Spiel zu machen. Ich beobachtete ihn, wie er auf dem Boden lag und eine Papiertüte mit sterilen, antiseptischen Tüchern öffnete, die er zum Schrubben seiner Turnschuhe benutzte, ehe er die Schnürsenkel mit einer Nahtschere durchzuschneiden versuchte.
    Teddy hielt wieder einmal Abstand und presste noch immer den weichen Ball an sich, den er auch schon tags zuvor dabeigehabt hatte. Ich merkte, dass er die brüderlichen Experimente mit der Krankenhausausrüstung beobachtete, jedoch keine Lust zu haben schien, sich daran zu beteiligen. Die Mädchen saßen gemütlich auf dem Bett und mampften die kernlosen Trauben, die sie mir mitgebracht hatten. Grant schlug das Album auf.
    »Ich habe gelesen, dass Gedächtnisverlust behoben werden kann, indem man dem Patienten Bilder aus seinem Leben zeigt, ihm seine Lieblingsmusik vorspielt und sich mit ihm seine Lieblingsprogramme ansieht«, erklärte Grant. »Hier, schau mal, das ist ein Bild von uns an unserem Hochzeitstag. Das eigentliche Hochzeitsalbum habe ich zu Hause gelassen, weil einige der besten Fotos hier mit drin sind, dazu Urlaube mit den Kindern …«
    Ich hatte aufgehört, ihm zuzuhören; meine Augen sahen gebannt auf das Foto der Braut und des Bräutigams, die vor einer alten Kirche in die Kamera lächelten. Bis auf die eine oder andere Falte um die Augen mehr, hatte Grant sich nicht sonderlich verändert. Die Braut, die neben ihm unschuldig lächelte, war ungefähr von meiner Größe und Statur, mit goldblondem Haar, das ihr in sanften Locken um die Schultern fiel. Ihre Augen waren von einem faszinierenden Blau.
    »Diese Nahaufnahme hat dir immer am besten gefallen«, fuhr er fort, als er merkte, dass ich sie ansah. »Dein Haar ist jetzt natürlich nicht mehr ganz so blond, aber du bist so hübsch wie eh und je, stimmt’s, Kinder?«
    »Die Arme sind jetzt nicht blau«, bemerkte Teddy aus der Zimmerecke, von wo er uns bis zu diesem Augenblick stumm beobachtet hatte.
    »Waren meine Arme blau?«, fragte ich Grant.
    Ich stürzte mich auf die Bemerkung, als könnte ich darüber die völlig irrsinnige Tatsache vergessen machen, dass ich hier im Körper einer anderen Person steckte.
    »Der Arzt meinte, nach einer Verletzung durch Hochspannung geschieht das bisweilen«, sagte Grant. »Es gibt einen hochtrabenden medizinischen Ausdruck dafür. Anscheinend waren deine oberen und unteren Extremitäten kalt und blau gesprenkelt, als es geschah, aber das hat sich nach ein paar Stunden wieder gegeben.« Er drückte meine Hand. »Nun siehst du phantastisch aus.«
    In diesem Augenblick erschien Schwester Sally in der Tür, und ich sah den Spiegel in ihrer Hand. Ich muss wohl blass geworden sein, denn unvermittelt stand ihr die Sorge ins Gesicht geschrieben. Ich sah sie flehend an und schüttelte den Kopf.
    Sally trat taktvoll den Rückzug an und überließ mich wieder meiner vermeintlichen Familie.
    »Solltest du nicht arbeiten?«, fragte ich diesen Mann, meinen Mann, nachdem ich meine Stimme irgendwie zurückgewonnen hatte. »Und wieso sind die Kinder nicht in der Schule?«
    »Es sind Ferien, Lauren«, erwiderte Grant. »Wir hatten vor, uns ein paar Tage freizunehmen und ein paar Ausflüge mit ihnen zu unternehmen.«
    Ich sah zu den Kindern, die nun ernstlich unruhig wurden. Die Mädchen hatten die Trauben aufgegessen, und Toby war aufgestanden, um das EKG -Gerät in Augenschein zu nehmen. Teddy stand noch immer bei der Tür und blickte mich finster an.
    »Ihr Armen!«, sagte ich mit erzwungener Fröhlichkeit und wünschte, sie würden alle gehen und mich in Frieden lassen. »Und nun müsst ihr mich stattdessen hier besuchen kommen. Grant, warum gehst du mit ihnen nicht etwas zu Mittag essen? Dann könnte ich ein Bad nehmen und mich ein bisschen zurechtmachen.«
    »Essen?«, wiederholte Sophie, nahm ihre Ohrstöpsel heraus und zog ein »Bäh-Gesicht«. »Ich möchte in die Chessington World of Adventures!«
    »Ja, ich auch, ich auch!«, rief Toby, stürmte her und sprang wieder aufs Bett.
    »Ich nicht«, murmelte Teddy in seiner Ecke. »Ich warte hier, bis Mami wiederkommt.«
    »Ich möchte auch hier bei Mami bleiben«, erklärte Nicole leise neben mir.
    Unsicher

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