Mein Tag ist deine Nacht
nichts außer einer schemenhaften Gestalt in der Dunkelheit. Ich zitterte leicht, umklammerte meine Knie und wünschte mir ganz fest, der Traum würde verschwinden.
»So, schon geschehen. Schlafen Sie wieder, meine Liebe«, beruhigte mich die Stimme. »Wir sehen uns in der Früh.«
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3
A ls ich eine Stunde später aufwachte, hielt mich der Traum noch immer gefangen. Frankie lag noch immer zu meinen Füßen. Ich wusste, sie schlief nicht, sondern war nur mir zuliebe friedlich, und ich streichelte ihren Kopf. Ich erhob mich, streckte mich und ging dann zum Telefon, um meine Eltern anzurufen.
Mein Vater hob ab, und seine vertraute Stimme zu hören war beruhigend.
»Hallo, Jess, meine Süße. Wie geht’s dir?«
Ich musste unwillkürlich lächeln. Solange ich denken konnte, hatte er mich »meine Süße« genannt, und ich war ihm zutiefst dankbar, dass er mich nicht mit einer vierfachen Mutter namens Lauren verwechselte. »Mir geht’s gut, Papa.«
Wir plauderten eine Weile über seinen Garten und die Dorfschau, wo er beim Wettbewerb für den besten Eierkürbis zu gewinnen hoffte, und dann sagte ich zögernd: »Gestern hatte ich einen kleinen Unfall.«
»Wie meinst du das, einen Unfall? Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Jetzt ist alles wieder okay. Hattet ihr am Samstagnachmittag in Somerset auch ein Unwetter?«
»Es hat ein bisschen geregnet, aber ein Unwetter würde ich das nicht nennen. Wieso?«
»Ich bin mit Frankie in den Downs spazieren gegangen, als ich von einem heftigen Gewitter überrascht wurde.«
»Aber dir geht’s doch gut, oder?«, platzte er dazwischen. »Ich hatte im Wetterbericht gehört, dass es am Wochenende im Südosten mehrfach zu ernsten Unwettern kommen solle. Was ist passiert?«
»Du wirst es nicht glauben, aber ich wurde tatsächlich von einem Blitz getroffen. Ich bin aber wieder auf dem Posten«, setzte ich hastig hinzu, als ich einen entsetzten Aufschrei vernahm. »Ich bin ins Krankenhaus gebracht worden, aber jetzt ist alles wieder gut, ehrlich.«
Ich hörte, wie meine Mutter ihn im Hintergrund nach dem Grund seiner Aufregung fragte.
»Deine Mutter versucht, mir das Telefon zu entreißen. Ich reiche dich mal weiter, und du kannst ihr dann die Einzelheiten erzählen …«
»Jessica? Was heißt das, du bist vom Blitz getroffen worden?« Die besorgte Stimme meiner Mutter kam laut und klar durch die Leitung. Es klang, als säße sie im Zimmer nebenan.
»Ich bin gestern Nachmittag mit Frankie unterwegs gewesen, als sich ein Unwetter zusammenbraute«, erklärte ich. »Der Blitz hat mich an der Schulter getroffen, aber dieser alte Mantel von dir hat das Schlimmste verhindert. Ich bin ins Krankenhaus gebracht worden, bin aber praktisch unverletzt.«
»Praktisch?« Sofort stürzte sie sich auf dieses Wort. »Warum hat man dich dann in die Klinik gebracht?«
»Ich habe das Bewusstsein verloren«, gestand ich. »Ein Hundebesitzer, der mit mir vom Gewitter überrascht wurde, hat mich ins Krankenhaus gefahren. Sie haben mich über Nacht dabehalten, aber abgesehen von einer wunden Stelle an der Schulter, geht’s mir gut. Heute Nachmittag haben sie mich entlassen.«
»Das reicht. Wir kommen dich besuchen.«
»Das müsst ihr nicht, Mama, ehrlich, alles ist bestens. Ansonsten hätten die Ärzte mich doch nicht entlassen.«
»Diese unabhängige Ader hattest du schon immer«, versetzte meine Mutter missbilligend. »Ich schätze, du willst nicht, dass wir deine Wohnung durcheinanderbringen. Eines Tages wirst du allerdings begreifen, dass du noch jemanden in deinem Leben brauchst, Jessica. Du kannst nicht immer mit allem allein fertig werden. Dein Bruder ist genauso schlimm, verschwindet einfach nach Neuseeland. Ich weiß nicht, wieso ihr euch beide nicht einfach an einem Ort niederlassen und ein normales, ruhiges Leben führen könnt!«
Ich seufzte. Das Letzte, was ich brauchte, war ein Vortrag über meinen Lebensstil als berufstätige junge Frau und meine angebliche Bindungsunfähigkeit.
Am Ende der Leitung entstand eine kurze Pause, dann: »Was ist eigentlich mit dem Mann, der dich ins Krankenhaus gebracht hat? Hoffentlich hast du dich bei ihm bedankt?«
Plötzlich sah ich Dan vor mir, und ich lächelte in mich hinein. »Mama, ich bin doch kein Kind mehr, natürlich habe ich mich bedankt!«
»Nun, wenn du sicher bist, dass du uns nicht brauchst …«, beendete meine Mutter unser Gespräch. »Dann gebe ich dich jetzt noch mal an Papa weiter, damit er sich von dir verabschieden
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