Mein Tag ist deine Nacht
berührte, zuckte ich zusammen, doch zumindest war ich am Leben.
Unter Stöhnen ließ ich mich in der Badewanne nieder und passte dabei auf, dass kein heißes Wasser in die Nähe der Bandage gelangte. Dann seifte ich den neuen Körper staunend ein, überrascht, dass er sich anfühlte, als sei es meiner. Ich nahm das Shampoo und fing an, mein blondes Haar zu waschen, bis ein stechendes Gefühl mich an Laurens Kopfverbrennungen erinnerte. Würde ich diesen Schmerz empfinden, wenn dies nur ein Traum war?, fragte ich mich und verzog mein Gesicht. Ich kam mir so wirklich vor. Das war doch bestimmt nicht nur eine medikamentös verursachte Halluzination?
Ich spülte das Haar unter großen Schwierigkeiten mit einem Plastikbehälter aus. Nachdem ich in einem von Laurens sauberen Nachthemden und mit einem turbanartig um das feuchte Haar geschlungenen Handtuch in mein Krankenzimmer zurückgekehrt war, stieg ich ins Bett und schloss erschöpft die Augen.
Trotz meiner Müdigkeit begriff ich, dass ich sämtliche Informationen systematisch verarbeiten musste, wenn ich nicht völlig durchdrehen wollte. Ich wusste, man hatte mir Schmerzmittel gegeben, konnte aber nicht glauben, dass diese derart stark waren, dass ich mir selbst eine völlig neue Identität zusammenphantasiert hatte. Dem, was ich erlebte, haftete nichts Nebelhaftes an, es war einfach zu real, zu solide, folglich schien eine methodische Herangehensweise erforderlich.
Tatsache: Ich war am Samstagnachmittag gegen zwei Uhr vom Blitz getroffen worden. Bislang kannte ich noch nicht viele Einzelheiten über Laurens Blitzschlag, außer, dass er heftiger als meiner gewesen zu sein schien und Lauren offensichtlich schlimmer verletzt worden war. Beide waren wir den restlichen Samstag und noch bis Sonntagvormittag bewusstlos gewesen. Lauren hatte einen Herzstillstand erlitten, ich dagegen nicht.
Lauren war zuerst wieder zur Besinnung gekommen, beziehungsweise ich in ihrem Körper. Aber sie hatte seitdem wieder geschlafen, und ich war immer noch hier. Ich blickte zu der Zeitschrift, die mir Grant zusammen mit dem Fotoalbum mitgebracht hatte. Es war eine Montagsausgabe, auf der Titelseite war ein Artikel über die königliche Familie.
Ungehalten schob ich die Zeitung fort. Wenn ich wirklich hier war, dann musste die naheliegende Frage lauten, wo sich Lauren nun befand? Ich wusste, in meinem Körper war sie nicht, weil ich auch darin aufgewacht war, obgleich das, was hier Nacht zu sein schien, dort Tag war und umgekehrt.
Mein erster Impuls war der, Dr.Shakir zu fragen, was da geschehen sein mochte. Vielleicht gab es ja Dokumentationen über frühere Blitzschlagopfer mit ähnlichen Erlebnissen. Ich erinnerte mich, einst einen Artikel darüber gelesen zu haben, wie ein Blitzschlagopfer sich danach umzubringen versucht hatte. Die betroffene Frau war der Ansicht gewesen, sie könnte nach dem Unfall nicht mehr mit sich leben, ihre Empfindungen gegenüber allem hätten sich völlig verändert. Sie hatte sogar Angst davor gehabt, das eigene Haus zu verlassen.
Ich lag da und kaute nachdenklich an meinen Lippen. Konnte sie etwas Ähnliches erlebt haben wie das, was ich gerade durchmachte? Konnte es sein, dass sie im Körper einer anderen Person zurückgekehrt war?
Wenn man es sich recht überlegte, war es vielleicht gar keine so gute Idee, jedem zu erzählen, was los war. Schließlich hatte ich nicht vor, meine restlichen Tage in einer Irrenanstalt zu verbringen, das war mal sicher. Ich malte mir aus, wie ich zu erklären versuchte, dass ich im falschen Körper gefangen sei, und wie die Ärzteschaft darauf reagierte.
Ich trocknete mir mit dem Handtuch das Haar, schüttelte die Locken aus und stöberte dann in dem Nachttisch nach Laurens Haarbürste. Nein, dachte ich, während ich mir mit der Bürste vorsichtig durchs Haar fuhr, ich musste auf meiner Suche nach einer Antwort für mein gegenwärtiges Dilemma wesentlich subtiler vorgehen.
Eine Stunde darauf kam ein Pfleger mit einem Rollstuhl und brachte mich in das Röntgenzimmer, wo seine magnetische Resonanzspektroskopie des Kopfes vorgenommen wurde, und ich war noch keine zehn Minuten wieder auf der Station, als Dr.Shakir persönlich zu mir kam. Er setzte sich auf die Bettkante und erkundigte sich, wie es mir gehe.
»Ich fühle mich ziemlich … durcheinander«, erwiderte ich vorsichtig.
Er nickte und tätschelte mir väterlich die Hand. »Sie haben eine Menge durchgemacht, Lauren«, sagte er. »Wenn man einen Teil seines
Weitere Kostenlose Bücher