Mein ungezähmtes Herz
Wollkleid über den Kopf.
Als Deliah angezogen und geschnürt war, setzte sie sich an den Schminktisch und ließ sich von Bess die Haare bürsten und flechten, während sie darüber nachgrübelte, was die anderen Frauen planen mochten. Höchstwahrscheinlich waren sie von der Idee der Männer genauso wenig angetan wie sie.
Während Deliah am Kopfende festgebunden im Bett gelegen und darauf gewartet hatte, dass die Morgendämmerung anbrach, hatte sie viel Zeit gehabt, sich zu fragen, warum Del gerade in dieser Nacht um ihre Hand angehalten hatte. Als Bräutigam wurden ihm gewisse Rechte eingeräumt – von denen er eines nicht einmal Stunden später eingefordert hatte.
Hatte er ihr den Antrag nur gemacht, damit er es sich erlauben konnte, alles zu tun, was er für nötig hielt, um sie zu schützen? War das der Grund, warum er sie um ihre Hand gebeten hatte?
Schon wollten sich Zweifel einschleichen. Doch Deliah analysierte sie und wies sie zurück. Sie hatte genug Vertrauen, um sich die Antwort selbst zu geben. Del war viel zu
praktisch veranlagt, um zum Schutz einer Frau, für die er sich zwar verantwortlich fühlte, aber keine echten Gefühle hegte, sozusagen seine Zukunft zu opfern. Schließlich hätte er sie, wenn dem so wäre und er gar kein gemeinsames Leben anstrebte, auch ohne ihr Eheversprechen festbinden können, obwohl er damit ihren Zorn und die beinahe zwangsläufige Entfremdung riskiert hätte.
Doch Deliah erinnerte sich noch zu gut an das, was er ihr in der Nacht gesagt und erklärt hatte. Er hatte seine Wünsche und Vorstellungen ehrlich und klar zum Ausdruck gebracht – seine Zukunft war eindeutig an ihrem Zusammensein festgemacht.
Und gerade die Tatsache, dass er zu einem so drastischen Mittel gegriffen hatte, um sie zu schützen, war ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass seine Gefühle für sie echt waren.
Trotzdem mochte sie es nicht, gefesselt zu sein, unfähig, ihm zu helfen.
So etwas ließ sie sich nicht bieten, das würde sie ihm deutlich zu verstehen geben.
»Fertig.« Bess steckte die letzte Haarnadel fest. Dann warf sie einen Blick auf den Umhang.
»Wollen Sie später noch ausgehen?«
»Oh ja.« Deliah erhob sich und zog ihr Kleid gerade.
»Aber nicht später, sondern schon sehr bald.«
Damit drehte sie sich um und ging zur Tür.
»Ich werde mal hören, was die anderen Damen dazu sagen.«
In mehr als einer Hinsicht.
»Also erst hat er Ihnen einen Antrag gemacht, und dann hat er Sie gefesselt? Herzlichen Glückwunsch!« Begeistert strahlte Alathea Deliah an.
»Wegen des Antrags, meine ich. Und was den Rest anbelangt …«, amüsiert schaute sie in die Runde, »… willkommen im Club.«
Deliah schaute in die Runde. Die Frauen an der langen Tafel im Frühstückszimmer schienen genauso zu denken wie Alathea.
»Waren Sie wirklich alle gefesselt?«
Die Damen nickten ausnahmslos und erzählten ihre Geschichte. Es stellte sich heraus, dass die Männer bei der Wahl der Fesseln recht einfallsreich gewesen waren – von Schals über Krawatten und seidene Vorhangkordeln bis hin zu Seidenstrümpfen war alles vertreten.
»Und«, sagte Honoria von ihrem Platz am Kopfende der Tafel, »nicht eine von uns konnte sich befreien. Dafür werden sie bezahlen müssen.«
»Hört, hört«, erklang es rund um den Tisch.
Während Deliah, der beim Duft des Essens sofort das Wasser im Mund zusammengelaufen war, die auf ihrem Teller angehäufte Auswahl von Köstlichkeiten zügig verspeiste, versuchte sie, die Gedanken und Überlegungen der anderen nachzuvollziehen. Am Ende fragte sie schlicht:
»Was meinen Sie damit?«
Honorias schöne graue Augen richteten sich auf ihr Gesicht.
»Wenn sie sich so rücksichtslos benommen haben, erwarten sie eine Strafe. Sie rechnen damit, dass wir sie bluten lassen …«, die Herzogin machte eine Pause und lächelte,
»… auf die eine oder andere Weise. Und das werden wir natürlich auch tun, nicht nur, weil wir nicht wollen, dass sie glauben, wir hätten uns daran gewöhnt oder würden uns, Gott bewahre, nicht mehr darüber ärgern.«
»Wenn sie jemals zu dem Schluss gelangen sollten, sähe es böse für uns aus.« Patience nippte an ihrem Tee.
»Aber …« Deliah erlaubte sich, ihre Verwirrung zu zeigen, »Sie wirken nicht besonders verärgert. Eher resigniert. Jedenfalls wesentlich ruhiger als ich. Kurz nach Dels Abgang war ich richtig wütend.«
»Das liegt daran, dass Sie dieses … sagen wir Katz-und-Maus-Spiel noch nicht kennen.« Phyllida
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