Mein Wahlkampf (German Edition)
Sie sich und Ihrer Frau und Ihrem Ruf einfach schuldig. Verstehen Sie doch – ich will nicht, dass Sie sich lächerlich machen.» Im weiteren Verlauf des Gesprächs fielen dann mehrfach Worte wie «repräsentativ», «Status», «Fahrgefühl», «Ansehen», «Extras», «Rabatt», «Sonderrabatt» und «Stammkundennachlass», und beschlossen wurde es mit dem Satz: «Gut, Herr Griesbach, dann reserviere ich jetzt auch noch für Ihre Gattin eine M-Klasse, also insgesamt zwei – zur sofortigen Auslieferung. Da haben Sie aber Glück, es sind die letzten, die wir dieses Jahr noch reinkriegen.»
Zufrieden legte der Landesvorsitzende auf, sah mich stolz an und sagte: «Die Dinger müssen dringend weg, der ganze Hof steht voll, die will keiner haben, weil sie zu teuer und zu unpraktisch sind und viel zu viel Sprit fressen.»
Ich hatte den Landeschef zum ersten Mal in Aktion erlebt – und ich war geflasht. Wenn er die Menschen derart bearbeiten konnte, warum wurde er dann nicht selbst Spitzenkandidat? Auf jeden Fall konnte ich von ihm einiges lernen, das war mir jetzt klar. Ob man den Leuten nun Autos andrehte oder neue Steuerkonzepte, das war doch letztendlich ein und dasselbe.
Noch bevor ich sein Verhandlungsgeschick loben konnte, wechselte er zurück zum Eingangsthema. «Hör zu!», lautete seine Ansage. «Ich habe mich in dieser Partei konsequent nach oben gearbeitet. Das war nicht schwer, denn die Landesspitze war unbesetzt, weil keiner diesen Job machen wollte. Trotzdem sägen sie jetzt schon an meinem Stuhl.» Mit einer Mischung aus Respekt und unverhohlenem Neid sprach er weiter: «Aber du bist Ehrenvorsitzender! Hut ab, das schafft nicht jeder. Es kann nicht einfach gewesen sein, diesen Job zu ergattern.» Er schaute mich interessiert aus rastlos flackernden Äuglein an.
«Das kannst du aber annehmen, Genosse. Es kann eben nur einen Ehrenvorsitzenden geben. It’s lonely at the top», zitierte ich Randy Newman und erzählte dem Griesbach-Bezwinger mal lieber nicht die ganze Wahrheit. Dass es nämlich spielend einfach gewesen war, an diesen Posten ranzukommen. Wenngleich auch erniedrigend.
«Wie auch immer», sagte er, «du musst uns jetzt jedenfalls in den OB-Wahlkampf führen. Das ist ein Persönlichkeitswahlkampf, und wir werden dir helfen, deine Persönlichkeit systematisch aufzubauen. Dann wirst du die Wahl nach meiner Berechnung gewinnen.» Selbst könne er die Kandidatur nicht übernehmen, sonst sei er seinen Job los. Als Vertriebsleiter sei ihm eigentlich jegliche parteipolitische Tätigkeit verboten, jedenfalls offiziell. Und da er Frau und Kinder und Hunde und Pferde zu ernähren habe, sei ihm die Politik als Hauptberuf zu unsicher. «Du bist Single und arbeitslos», sagte er kühl, «du hast nichts zu verlieren.»
Ich protestierte, ich hätte sehr wohl eine Ehefrau, und diese Ehefrau hätte auch einen Job, der spielend zwei ernähren könne. Gut, meine Frau musste auch für zwei arbeiten, aber sie hatte eine starke Statur.
Der Landesvorsitzende ignorierte meinen Einwand. Ganz unvermittelt fragte er mich, ob ich Visionen hätte.
«Nein.»
«Das ist gut.»
Langsam dämmerte es mir: Oberbürgermeister von Frankfurt am Main – das war vielleicht doch das Richtige für mich, der klassische Einstieg in eine glanzvolle Politikerlaufbahn: Konrad Adenauer, Hans-Jochen Vogel, Willy Brandt, Hans Eichel, Oskar Lafontaine – sie alle begannen ihre großen politischen Karrieren als Träger der silbernen oder goldenen Amtskette. Wenn ich die erst mal im Kleiderschrank hatte, kam der Rest bestimmt ganz von selbst. Dann konnte ich womöglich weltberühmt werden, so wie Michel de Montaigne, Otto von Guericke oder Clint Eastwood, die auch alle mal als Bürgermeister gearbeitet haben.
Es sei ein Vorteil, sagte der Landesvorsitzende, als wir nach draußen gingen, dass ich keiner der überkommenen Altparteien angehöre. Bei «so kommunalen Geschichten» gelte das Aufstellen neuer, unverbrauchter Kandidaten ja oftmals geradezu «als Erfolgsrezept», besonders und vor allem bei Bürgermeisterwahlen. «Das sind die Persönlichkeitswahlen schlechthin», sagte er, während wir über den Hof des Autohauses schritten, der voller großer, unförmiger Oberförsterautos stand.
«Jetzt zeig ich dir aber mal was sehr Geiles», raunte er mir zu und führte mich in eine separate Garage, die wir durch eine Klimaschleuse betraten. Neonröhren flackerten auf und spiegelten sich im Lack und Chrom herausgeputzter Oldtimer:
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