Mein Wahlkampf (German Edition)
ich doch schon. Im Moment nur ohne Geschäftsbereich.»
«Genau den werde ich dir geben. Bis gleich.»
So grau und tief hing der Winterhimmel über der Stadt, dass die Konturen der Hochhäuser im Wolkennebel verschwammen. Kontur- und führungslos lag Frankfurt am Main. Vor einigen Tagen hatte die Oberbürgermeisterin, die diese Stadt seit einem gefühlten Jahrhundert regierte, ihren Rückzug angekündigt. Pensionsansprüche verprassen. Ein Nachfolger war nicht in Sicht. Ich hatte das zunächst nur am Rande mitbekommen, ich war mit dem Relaunch meines Lebenskonzepts beschäftigt. Frankfurt hin oder her – wie es mit mir weitergehen sollte, das war die große Frage. Manchmal ist es wie mit dem Wald, den man vor lauter Bäumen nicht sieht: Ich erkannte erst gar nicht, dass das Amt des Oberbürgermeisters der ideale Einstieg in die Profipolitik war, der Steigbügel für den Kanzlersattel. Gerade für einen Quereinsteiger wie mich! Denn der war ich tatsächlich. Zwar hatte ich schon Erfahrungen mit Wahlkämpfen, als Landtagskandidat und Anwärter für das Bürgermeisteramt meiner Heimatstadt. Doch das war Jahre her.
Man darf allerdings nicht glauben, dass ich fatalistisch in den Tag hineinlebte, auch wenn das für den ungeschulten Betrachter vielleicht den Anschein haben mochte. Ich ging häufig aus, sprach sehr viel, selbst wenn keiner zuhörte, und verbrachte die übrige Zeit mit Warten. Auf bessere Zeiten. Denn eines Tages, das war mir klar, würde meine Zeit kommen. Und an diesem Tag war es so weit.
Eine Stunde später saß ich im Büro des Landesvorsitzenden. Der massige Mann residierte hinter einem Schreibtisch, der so aufgeräumt war wie er selbst. Da sein hoher Parteiposten undotiert und damit nur ehrenamtlich zu verwesen war, saß er hauptberuflich als Vertriebsleiter in den Räumlichkeiten eines großen Luxusmarken-Autohauses und beobachtete aus seinem verglasten Kubus heraus die Vertriebstätigkeiten seiner Mitarbeiter. Offensichtlich liefen die Geschäfte gut, denn er konnte sich der Parteiarbeit vollinhaltlich widmen.
«Wir brauchen einen neuen Bürgermeister», sagte er und machte eine Pause. «Und du wirst es werden.»
Widerspruch wollte er nicht zulassen, das schien nicht seine Art zu sein. Meine eher gespielten Bedenken, dass ich eventuell zu wenig Kenntnisse über die von mir zu regierende Stadt hätte, dass ich ja vielleicht gar nicht sicher gewinnen würde, weil ich kein Geld hätte, um die Medien zu bestechen, dass mir bei einem Wahldebakel ein weiterer Aufstieg in der Bundespolitik schwerfallen würde, weil ich ja dann …
Der Landesvorsitzende schnitt mir das Wort ab: «Wir werden auf Sieg spielen, nicht auf Platz!» Unnachgiebig starrte er mich an, sein Blick war streng führungspersönlich.
Die Bürotür ging auf. Ein Vertriebsheini streckte seinen Bürstenhaarschnitt durch die Öffnung, schaute erst mich irritiert, dann seinen Chef indigniert an und jammerte, dass er da einen «Problemkunden» habe, der «Stress» wegen einer «Fehldisposition» mache. Es sei das falsche Auto bestellt worden, nun wolle der Kunde den Kauf stornieren und darüber hinaus, bis zum Eintreffen des richtigen Wagens, sogar ein Ersatzfahrzeug gestellt bekommen. «Er sagt, er will nicht im Oberförsterauto durch die Stadt fahren», heulte die Bürste, worauf ihm mein Landesvorsitzender zu verstehen gab, er solle «den Vogel» mal durchstellen, er regle das schon.
Das Telefon piepste, blitzschnell schnappte die Pranke des Landesvorsitzenden nach dem Hörer, dem sofort und deutlich vernehmlich aufgeregtes Gequassel entquoll. Er hörte eine Weile zu, sagte hin und wieder «Aber Herr Griesbach!» und gab mir mit einem Augenrollen zu verstehen, dass dieser Herr Griesbach wohl allerlei Unfug daherredete. Gelangweilt fischte er mit seiner goldenen Krawattennadel einige hochinteressante Speisereste aus dem weit geöffneten Mund, der ausschließlich aus teuren Ersatzteilen zu bestehen schien. Dann legte er den unvermindert weiterquakenden Hörer auf die Schreibtischplatte, holte sich einen Kaffee, krempelte die Hemdsärmel hoch, nahm den Hörer wieder auf und schaltete auf Angriff.
«Dass Sie eine E-Klasse bestellt haben, ist uns natürlich bekannt, Herr Griesbach», sagte er mit knurrender Stimme. «Aber da ich Ihre Vorlieben genau kenne und Sie persönlich sehr schätze, weiß ich, dass Sie mit diesem Auto nicht glücklich werden würden. Natürlich ist die M-Klasse in dieser Ausführung viel teurer, aber das sind
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