Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis

Titel: Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
Vom Netzwerk:
gewesen. Und zum Populisten taugt Putin nicht besonders. Medwedew dagegen ist geradezu verhasst. In ihm sehen sie nicht nur eine persönliche, sondern eine systemische Bedrohung für die etablierte Ordnung.
    Putins Methode der »Handsteuerung«, die in Wirklichkeit die letzte Reserve jedes Administrators darstellt, führt ihn heute schon an die Grenzen seiner persönlichen Möglichkeiten. Deshalb versagen ihm auch die Nerven.
    Und das alles vor dem Hintergrund eines Systems, das immer größere Probleme hat: einen wachsenden Rückstand gegenüber China, eine »Abflachung« des Wachstums bei den Rohstoffeinnahmen, einen Verfall des Maschinenbausektors (also der Branche, die Produktionsmittel produziert), eine Stagnation beim Ausbau der Infrastruktur trotz der auslaufenden Periode des Haushaltsüberschusses und so weiter. Der wirtschaftliche (und politische) Spielraum zwischen den beiden globalen Kräften, den Silowiki und der paternalistischen Mehrheit, wird also immer kleiner. Jede dieser beiden Kräfte verlangt immer mehr Zugeständnisse von der Staatsmacht, eine Steigerung der Einnahmen aus den Rohstoffquellen ist indes nicht möglich. Gleichzeitig drängt die Mittelklasse, die bis zum Jahr 2020 die dominante Kraft in der Wählerschaft werden dürfte, immer stärker auf die politische Bühne.
    Der Ausweg ist klar: politische Modernisierung, eine Reduktion der Bürokratiekosten (auch und vor allem bei den Korruptionsausgaben) und eine Steigerung der Arbeitsproduktivität durch unternehmerische Initiative, Wettbewerb und strategische Anstrengungen der Elite, auch im Bereich internationaler Bündnisse. Politische Modernisierung bedeutet an erster Stelle, dass die staatliche Verwaltung nicht im luftleeren Raum agiert, sondern mit einer politischen Opposition rechnen muss. Denn das einzige, was die Bürokratie wirklich fürchtet, ist die reale Möglichkeit, im Rahmen einer politischen Rotation ausgewechselt zu werden.
    Putin kann sich ohne die Unterstützung der Silowiki nicht an der Macht halten. Sie werden ihn fressen, und zwar sehr schnell, sobald sie begreifen, dass außer ihnen niemand mehr hinter ihm steht – weder der Westen, noch der aktive Teil der Gesellschaft, noch weitere Geldreserven. Seine »Freunde« und Verbündeten sind ja nicht nur hoffnungslos korrupt. Sie sind an ein exponentielles Wachstum ihrer Einnahmen gewöhnt und erwarten das auch – aber genau das ist nicht mehr möglich. Und das wollen sie nicht glauben. Ich bin mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, dass sie jedes Gefühl für die Größenordnungen in der Wirtschaft und für deren Fähigkeit, unablässig Korruptionseinnahmen zu generieren, verloren haben. Unwiderruflich.
    Das ist ein Krebsgeschwür. Es tötet den Organismus und mit diesem auch sich selbst. Unser Aufgabe wird es sein, mit unserer Botschaft wenigstens zu einem Teil der Bürokratie durchzudringen.
    Ich will, dass Sie mich verstehen: Was mich interessiert, sind Fragen der Steuerung komplexer Systeme. Die optimalen Mechanismen und Verfahren zur Lösung von Krisensituationen zu finden. Ich bin kein Politiker im herkömmlichen Sinne des Wortes, die politische Intrige ist mir fremd, nicht aus moralischen, sondern aus professionellen Erwägungen – das ist einfach nicht meine starke Seite. Und auch die persönliche Macht reizt mich nicht mehr: Das ist nur eine Menge Stress und technische Fragen, mit denen ich zwar gut umgehen kann, aber im Grunde langweilt mich das. Ich kann das, wenn es nötig ist, aber ich mache es nicht gern.
    Alles, was Macht einem geben kann, hat mir auch das Geld gegeben (außer der Macht selbst). Mein Ehrgeiz ist es, zu überzeugen, nicht zuletzt durch mein persönliches Beispiel. Ein Ziel, eine Richtung ausmachen (und sei es anhand der Ideen anderer Leute), und dann Menschen von diesem Weg überzeugen, eine Bewegung anstoßen – so eine Arbeit liegt mir, und soweit meine Fähigkeiten es erlauben, mache ich das auch. Die kleinen Unannehmlichkeiten, die damit einhergehen, versuche ich nicht zu bemerken.
    Es ist Ihr gutes Recht, mir nicht zu glauben, aber mir war es wichtig, für mein eigenes und Ihr Verständnis zu formulieren, womit ich mich befassen will.
    Natascha, ich kenne Sie nun schon viele Jahre und setze voraus, dass Sie in jeder Hinsicht besonnen mit dem Ihnen anvertrauten Material umgehen, deshalb schreibe ich Ihnen offen, wie ich die Ereignisse heute wahrnehme. Ich habe kein sehr gutes Gedächtnis (der liebe Gott hat mir stattdessen wohl eher

Weitere Kostenlose Bücher