Mein wundervolles Genom
Millionen von Mutationen, die im Lauf der Evolution stattgefunden und sich in unserer Spezies verbreitet haben, existieren die meisten Gene in unterschiedlichen Varianten. Die astronomisch hohe Zahl möglicher Kombinationen all dieser Varianten hat den Effekt, dass alle Menschen physisch und physiologisch verschieden sind. Jeder von uns besitzt ein einzigartiges, wunderbares Genom. *
Erst 1963, zehn Jahre nach der Entdeckung der DNA-Struktur durch Watson und Crick, wurde der genetische Code – die Sprache der Gene – geknackt. Und mit sehr wenigen Ausnahmen ist das die universelle Sprache für das gesamte Leben auf der Erde. Ob Grippevirus, Schleimpilz, Seekuh oder Manager, der genetische Code enthält bei allen Lebewesen die gleichen Informationen.
Daraus haben die Wissenschaftler eine weitere Erkenntnis abgeleitet:
Leben besteht nicht aus chemischen Substanzen oder Molekülen, sondern schlicht und einfach aus Information.
Na, und wenn schon, sagen wir heute mit einem Achselzucken. Und ohne eine Miene zu verziehen, zitieren wir die Statistiken, wonach Menschen 98 Prozent ihres Genoms mit einem kreischenden Schimpansen gemeinsam haben, 60 Prozent mit einer flinken Maus und immerhin noch 20 Prozent mit einem so niederen Lebewesen wie dem millimetergroßen Spulwurm. Aber denken Sie einen Augenblick darüber nach, ruhig und gründlich. Diese Erkenntnis reicht tief und berührt etwas Zentrales, etwas beinahe seelisch Erschütterndes.
Zum einen belegt sie, dass es ein gemeinsames globales biologisches Erbe gibt, das nicht nur oberflächlich da ist, sondern zum Kern aller lebenden Kreaturen gehört.
Außerdem zwingt uns diese Erkenntnis, in einer neuen Weise über das Leben nachzudenken. Wir sollten uns das Phänomen des Lebens nicht als eine Reihe fest definierter Formen vorstellen: Schleimpilze, Seekühe, Manager. Vielmehr ist es ein stetiger Strom von Information. Die Myriaden einzelner Lebensformen sind nur vergängliche Gefäße mit genetischer Information darin, die in immer neuen Kombinationen kontinuierlich weitergegeben wird.
Diese Erkenntnis erlaubt uns auch, die Biologie mit den Begriffen der digitalen Welt zu betrachten. Genetische Information ist ähnlich wie die Softwareprogramme und Daten, die im Binärcode ausgedrückt und dann von unterschiedlichen Computern gelesen werden können, von einem IBM-Großrechner genauso wie von einem schlanken Mac oder inzwischen auch einem Handy. Mit der Botschaft des genetischen Codes verhält es genauso. Die Gehirnzelle eines Menschen liest und übersetzt »Gensprache« genauso wie eine Hefezelle.
Die Bedeutung dieser Erkenntnis geht weit über die psychologische Dimension hinaus, denn die digitale Natur der Biologie hat eine dramatische Konsequenz: Die genetische Information gehört nicht an einen bestimmten Ort, sondern kann beliebig von einem Organismus auf einen anderen übertragen werden. Ein Gen in einer Rose hat nichts spezifisch »Rosenartiges«, weil dasselbe Gen sein Protein ebenso in jedem anderen lebenden Organismus produzieren kann.
Diese Erkenntnis wurde 1973 konkret, als die Molekularbiologen Stanley Cohen, Herbert Boyer und Paul Berg zum ersten Mal zeigten, dass sie Information zwischen Organismen hin und her schieben konnten. Sie verwendeten natürlich vorkommende Enzyme, die die DNA zerschneiden, und wiesen nach, dass ein aus der Hautzelle eines Frosches ausgeschnittenes Gen in eine Bakterienzelle übertragen werden konnte, woraufhin das Bakterium unverdrossen Protein nach dem Bauplan des Froschgens produzierte. Mit anderen Worten: Ein Gen ist ein Gen ist ein Gen.
Damit war das Spleißen von Genen oder die Gentechnik geboren. Die Wissenschaft stieß die Tür in eine neue Welt auf, in der genetische Information frei zwischen Individuen und Arten verschoben werden kann, die in der Natur ihre Gene niemals mischen. Man träumte von neuen Lebensformen, von Nutzpflanzen mit bestimmten Eigenschaften bis zu Mikroben, die Proteine für medizinische Zwecke produzieren würden.
Die Begeisterung der Wissenschaft war ebenso groß wie ihre Angst. Welche unvorstellbaren Lebensformen würden möglicherweise als Nebenprodukte entstehen? Würde die Manipulation der Geschöpfe der Natur letzten Endes das komplizierte ökologische Puzzle durcheinanderbringen oder zerstören, das die Evolution über Jahrmilliarden geschaffen, weiterentwickelt und immer mehr verfeinert hat? Spielte der Mensch mit der Büchse der Pandora?
Um solche Fragen zu erörtern, riefen die
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