Mein wundervolles Genom
ein ganzes Jahr in Dänemark und habe am Staatlichen Seruminstitut in Kopenhagen über Viren geforscht. Soweit ich mich erinnere, hat nicht einen Tag die Sonne geschienen.«
James Watsons Forschungsjahr in Dänemark lag drei Jahre vor dem großen Durchbruch, der das Verständnis der Menschheit für die Biologie revolutionierte und ihn für immer zu Big Jim machte. Sein Kollege Francis Crick stolperte an jenem Tag, nachdem die beiden endlich die Helix-Form des DNA-Moleküls gefunden hatten, zum Mittagessen in den Eagle Pub in Cambridge und verkündete, sie hätten das Geheimnis des Lebens entdeckt. 4
In seinem berühmten Buch Die Doppelhelix beschreibt Watson, wie er eines Tages auf die Struktur kam, als er im Labor mit Modellen der vier Basen herumspielte, die als universelle Bausteine des Genoms dienen: Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin. Auf einmal erkannte der junge, ehrgeizige Forscher, dass diese Basen in festen Paaren verbunden sein müssen: A und T durch zwei schwache Wasserstoffbrücken und G und C durch drei. Und es war auch klar, dass die Basen einander gegenüberstehen müssen und so in einer dreidimensionalen Doppelhelix-Struktur das Rückgrat des Moleküls – die beiden langen Phosophat-Stränge – tragen. Eine wunderschöne biologische Wendeltreppe.
Bis zu dem Augenblick waren Watson und Crick in einem langen, gnadenlosen Wettrennen mitgelaufen. Die beiden in ihrem Ausguck im Cavendish Laboratory an der Universität Cambridge hatten die Nase vorn gehabt, doch beinahe hätte der legendäre Nobelpreisträger Linus Pauling am kalifornischen Institute of Technology sie noch eingeholt. Die meisten Beobachter konnten kaum glauben, dass nicht Pauling das Rennen machte, doch der alte Gigant geriet bei seinen Forschungen an Proteinen in eine Sackgasse. Und so gelang Watson und Crick die genetische Revolution.
Die Entdeckung der Doppelhelix war wie der Durchbruch durch eine Mauer – eine dicke, verstärkte Betonmauer. Nun hatten sie nicht nur herausgefunden, dass die bis dahin geheimnisvolle DNA der Träger des genetischen Erbes eines Organismus ist, sondern auch, wie sie chemisch aufgebaut ist. Die Molekularstruktur war der entscheidende Punkt. Erst mit ihrer Entdeckung besaßen die Wissenschaftler den Schlüssel zur Erkenntnis der Grundlagen, wie der genetische Mechanismus funktioniert: Die Art und Weise, wie sich im Lauf des Lebens Merkmale bei einem Individuum herausbilden, wird, hübsch verpackt in Ei- und Samenzelle, von einer Generation zur nächsten weitergegeben.
Oberflächlich betrachtet erscheint der Vorgang geheimnisvoll, wie Zauberei. Die Kerne aller Zellen enthalten Gene – Einheiten von Erbgut sozusagen –, die sich selbst nicht verändern, aber die Quelle für den ewigen Wandel und die Dynamik darstellen, die jeden lebenden Organismus auszeichnen. Das Genom eines Menschen – sein Erbmaterial – besteht aus sechsundvierzig verschiedenen Chromosomen, jedes Chromosom ist ein langes DNA-Molekül. Dazu gehören die beiden Geschlechtschromosomen X und Y und zweiundzwanzig ganz normale Organisationschromosomen, die jeweils in zwei unterschiedlichen Kopien vorliegen – je eine von beiden Elternteilen. In gewisser Weise verhält sich das Genom wie eine Ameisenkönigin: Sie bleibt passiv, versteckt und geschützt tief im Ameisenhügel, wo sie von fleißigen Arbeiterinnen versorgt wird, und indem sie unterschiedliche Arten von Nachwuchs hervorbringt, kontrolliert sie den gesamten Ameisenstaat. Ganz ähnlich steckt das Genom im Kern jeder Zelle; dort wird seine Information ausgelesen und an die Zelle sowie durch eine Reihe molekularer »Mittelsmänner« an den gesamten Organismus weitergegeben.
Das Wunder besteht in der eleganten, schrittweisen Transformation eines digitalen Codes in eine analoge Realität. Die Gene tun noch nichts, sie sind einfach nur. Aber die Information, die sie enthalten – buchstäblich die Essenz der Gene –, wird zu dem Stoff, mit dem biologische Ideen realisiert werden: Protein. Proteine sind die Arbeitspferde eines Organismus. Die großen, klumpenförmigen Moleküle mit ihren beweglichen Teilen und biochemischen Fähigkeiten können all die Aufgaben ausführen, die das Leben erfordert.
Wir bestehen nicht nur hauptsächlich aus Protein, das in jeder Zelle und Organstruktur zu finden ist, sondern wir funktionieren auch mittels Proteinen. Enzyme sind eine bestimmte Art von Proteinen, sie sorgen für die biochemischen Abläufe in unserem Organismus. Eine weitere Art
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