Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Adorján
Vom Netzwerk:
getaucht ist, und Felix erinnerte sich daran, dass seine Großmutter die immer so geliebt hatte. »L’heure bleue« hatte sie dazu gesagt, er wusste noch genau, wie ihre Stimme klang. Ganz weich und brüchig, eben wie die einer alten Frau. Solche Stimmen hörte man kaum noch, dachte er. Irgendwie war er heute sentimental. Das Leben kam ihm sinnlos vor, die Menschen bemitleidenswert, immer neue Schicksalsschläge, Arbeit, Steuern, Tod, wozu das eigentlich alles, wer hatte sich das bloß ausgedacht.
    Von Zeit zu Zeit hatte Felix das Gefühl, wie aus dem All, von ganz weit weg auf die Welt zu sehen. Es waren kurze Momente, in denen alles, was gerade war, mit einem Mal wie von einem Schlaglicht erhellt und lächerlich, banal und vollkommen unwichtig erschien. Weltraumtraurigkeit hatte es eine Freundin von ihm einmal genannt. Er fragte sich dann, wer ihn wohl vermissen würde, wenn er tot wäre und stellte sich seine Beerdigung vor. Er dachte sie sich als feierliche Veranstaltung, bei der geweint werden würde, aber anschließend auch gelacht, so ein allwissendes, schmerzliches Lachen, das die Trauernden sich gegenseitig schenken würden. Und dann würden alle nach Hause gehen, noch am Nachmittag seine Nummer aus ihren Handys löschen und die Zeitung mit der Todesanzeige nach kurzem Zögern zum Altpapier geben; er würde aus der Serie geschrieben werden, was, wie er ja nun wusste, kein Problem darstellen würde, seine Agentur würde ihn von ihrer Internetseite nehmen, auf seiner Facebook-Seite würden ein paar Mädchen traurige Songzeilen posten, und das Leben würde genauso weitergehen wie immer. Es war nicht so, dass Felix eine Todessehnsucht hatte, aber in den letzten Jahren hatte er sich doch mehr als einmal im Flugzeug bei dem Gedanken ertappt, dass es ihm nichts ausmachen würde, wenn sie jetzt abstürzen würden. Frau Weber hatte es eine leichte Depression genannt.
    Inzwischen war es draußen dunkel geworden. In Felix’ Zimmer brannte kein Licht, nur die Stand-by-Leuchte seines Laptops tauchte die Umgebung des Schreibtischs in einen blassen Schein. Felix dachte daran, dass er kein Geld mehr hatte. Er dachte an seinen Großvater, den er dringend mal wieder anrufen müsste. Er dachte an Frau Weber. Daran, dass er etwas essen musste. Er dachte an den leeren Kühlschrank, und daran, welcher Wochentag eigentlich war. Es machte ihn traurig, dass es ein Dienstag war, aber er kam nicht darauf, warum. Er dachte an seine Leberwerte und dass er wirklich mal zum Arzt gehen sollte. Er dachte an seinen alten Zahnarzt, und dass er in Berlin noch nie bei einem gewesen war. Er dachte, dass er Durst hatte. Dass er sich heute Abend noch rasieren wollte. Dass er endlich das Drehbuch lesen musste, das seine Agentin geschickt hatte, dass er nicht vergessen durfte, ein Geschenk für Ildikó zu besorgen, ein Parfum oder Pralinen. Dass er mal wieder zum Sport gehen müsste oder wenigstens joggen, dreimal, viermal die Woche, und zwar die große Runde, im Tiergarten die. Er dachte daran, wie sein Vater ihn einmal mit auf eine Reise nach China genommen hatte, Peking und Shanghai, nur ihn, ganz allein. Alles an diesem Land hatte ihn eingeschüchtert, der Verkehr, der Lärm, die Menschen, aber im Nachhinein war es doch eine schöne Erinnerung. Er dachte daran, dass sein Vater bald siebzig war. Und dann dachte er an das kleine zusammengefaltete Briefchen in seiner Tasche.
    Zehn Stunden später saß Felix auf einem Bett in einem Zimmer, das er als Mädchenzimmer beschrieben hätte, hätte ihn jemand danach gefragt. Außer dem Bett stand nur eine Kommode darin und eine Kleiderstange, an der die Kleider den Farben nach geordnet hingen. Vor den Fensteal r den Frn waren bodenlange weiße Vorhänge, die den Raum nicht ganz abdunkelten, sondern ein fahles Licht hindurchließen, das entweder vom Mond kam, der heute ungefähr voll sein mochte, oder von der Helligkeit der Stadt. Halb neben und halb auf Felix saß das Mädchen, das hier wohnte, von ihrer Erscheinung her eher noch ein Mädchen als eine junge Frau, sie hieß Sarah, mit h, wie sie betont hatte, als sie ihm seinen Namen sagte. Sie hatten sich in einem Club kennengelernt, hatten zusammen Drogen genommen, sich geküsst, wieder Drogen genommen und waren dann zu zweit in ein Taxi gestiegen, und Sarah hatte dem Fahrer ihre Adresse genannt. Und jetzt hielten sie sich immer noch so fest umklammert wie vor zwei Sätzen, aber irgendwie, fand Felix, war der Zauber weg. Er ließ Sarah los und rückte

Weitere Kostenlose Bücher