Meine 500 besten Freunde
unmöglich war, ohne Maut. Als sie kurz nach Athen mit ihrem Mietwagen auf eine dieser Stationen zugefahren war, in denen man für die Autobahnnutzung zahlen musste, hatte sie ihre Chance erkannt. Der Mann im Kassenhäuschen hatte nicht gleich verstan Kleideneden, warum sie ihm den doppelten Betrag gab, schien dann aber auch nicht sonderlich überrascht. Beim Losfahren hatte sie sich die Freude des Autofahrers hinter ihr ausgemalt, der gleich erfahren würde, dass für ihn bereits bezahlt worden war – und für einen Augenblick hatte sie tatsächlich ein großes, warmes Glücksgefühl erfasst. Doch dann hatte sie im Rückspiegel gesehen, dass im Wagen hinter ihr ein Paar saß. Sie hatte sich vorgestellt, wie die Frau auf dem Beifahrersitz fluchend die Münzen wieder würde einpacken müssen, die sie vorher in ihrem Portemonnaie mühsam zusammengesucht hätte. Wie sie und ihr Mann sich zunächst vielleicht nur wundern, etwas später aber womöglich streiten würden, weil die Frau annehmen könnte, ihr Mann kenne Ayumi, weshalb hätte ihm eine Fremde einfach Geld schenken sollen? Der Mann würde das natürlich verneinen, was in den Ohren der Frau wie ein Abstreiten klingen würde …
Während dieser Überlegungen war Ayumi immer schneller und schneller gefahren und hatte die erlaubte Höchstgeschwindigkeit schließlich um einiges überschritten. Auf keinen Fall wollte sie den beiden wieder begegnen. Denn selbst wenn sich die beiden wider Erwarten doch gefreut hatten, wollte sie nicht, dass sie glaubten, sich bei ihr bedanken zu müssen, wusste auch gar nicht, wie sie dann hätte gucken sollen, lachend abwinken, als wäre nichts dabei? Darüber hatte nichts im Buch gestanden. Und Ayumi wollte nicht gnädig wirken. Und auf keinen Fall verrückt. So schnell es ihr Mietwagen hergab, war sie zur nächsten Raststätte gefahren, wo sie angehalten und sich so lange auf der Toilette versteckt hatte, bis sie einigermaßen sicher sein konnte, dass die beiden vorbeigefahren waren und sie sich in diesem Leben mit großer Wahrscheinlichkeit nie wieder begegnen würden. Anselm hatte sie von der Sache dann gar nichts erzählt.
»Vertieft euren Atem und lasst ihn hörbar werden«, sagte sie, plötzlich entschlossen, ihre Ansprache nicht weiter zu verfolgen. »Kommt an den Anfang der Matte, Füße zusammen, wir beginnen mit dem Sonnengruß A.« Sie nahm die Fernbedienung, die sie neben sich auf den Boden gelegt hatte, richtete sie auf die Stereoanlage und drückte auf »Play«. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Holger, die Arme in die Seiten gestemmt, an die Vorderseite seiner Matte trat und dort, warum auch immer, mit dem Becken zu kreisen begann. Wieder durchströmte sie ein heftiges Gefühl von Abneigung. Wie eklig, du Trumm . Wie unbeholfen er aussah mit seiner an den Knien ausgebeulten Jogginghose, die ihm nur bis zu den Waden reichte. Penner! Bestimmt würde er gleich seine Matte verlassen und mit seinen schwitzigen Händen um die Knöchel oder Taillen der Kursteilnehmerinnen fassen. Ayumi wusste aus eigener Erfahrung, dass seine Hilfestellungen nichts brachten. Er hatte nie verstanden, wie man krumme Rücken mit sanftem Druck an der richtigen Stelle zum Geradewerden brachte, wie man jemanden so auf die Schultern fasste, dass er diese automatisch senkte, er patschte einfach drauflos, fasste irgendwohin. Dabei stellte er selbst sich in Yoga nicht besonders gut an. Kam in der Vorbeuge mit den Händen kaum zum Boden, und selbst einfache Stellungen wie die Krähe, eine auf den Armen gehaltene Hocke, in der beide Füße durch Verlagerung des Körpergewichts nach vorne vom Boden abhoben, machte er vollkommen verkehrt, benutzte viel zu viel Muskelkraft, lief im Gesicht rot an und schien nach wenigen Sekunden einem Herzinfarkt nahe.
»Beim nächsten Einatmen nehmt ihr die Hände hoch, verschränkt sie ineinander und dreht die Handinnenflächen nach oben«, sagte sie – tatsächlich, Holger verließ seine Matte. Ha! Sie machte die Bewegung vor, nahm die Arme nach oben. Holger wandte sich einem besonders hübschen Mädchen zu und legte ihr die Unterarme Kie > Genau, vergewaltige sie doch gleich! Sehr konzentriert sah er aus, als verrichte er eine wichtige Arbeit. »Und ausatmen, Arme wieder herunter.« Von draußen plötzlich der Lärm eines Presslufthammers. Was soll das denn jetzt? Hallo, es regnet! Können diese Idioten denn nie aufhören zu bauen? Was gibt’s denn dauernd zu bohren, das gibt’s doch gar nicht, doch nicht jetzt …
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