Meine 500 besten Freunde
nützlich zu machen. Ayumi konnte ihn nicht ausstehen. Sie wusste selbst nicht warum. Eine instinktive, geradezu körperliche Abneigung. Dabei war er eigentlich ein netter Kerl. Hilfsbereit, offen, freundlich. Aber Ayumi hatte ihn vom ersten Moment an nicht gemocht, war ihm aus dem Weg gegangen, so gut sie nur konnte, und wenn sie doch einmal eine Paarübung mit ihm machen musste oder nach einer Stunde beim gemeinschaftlichen Teetrinken zufällig neben ihm zu sitzen kam, hatte sie sich allergrößte Mühe gegeben, sich ihre Abneigung nicht anmerken zu lassen. Sie wollte ihn ja mögen, diesen großen tollpatschigen Mann, allein, es gelang ihr nicht.
Sie schenkte Holger ein Lächeln – Vollarsch! –, woraufhin er durch eine Geste zu verstehen gab, dass er ihr assistieren wolle. Untersteh dich! Sie nickte, was blieb ihr anderes übrig, und K ühenbegann ihren Unterricht. »Schließt die Augen und richtet eure Wirbelsäule auf.« Sie selbst saß jetzt kerzengerade auf ihrer Matte, die Beine zu einem lockeren Schneidersitz gefaltet, die Hände auf den Oberschenkeln abgelegt. Sie ließ ihren Worten eine Pause folgen, in der sie innerlich bis drei zählte. Am Anfang hatte sie viel zu schnell gesprochen. Angelika hatte ihr geraten, Pausen zu lassen und in einem langsamen Tempo zu sprechen, um eine ruhige Atmosphäre zu schaffen. »Lauscht eurem Atem und kommt erst mal im Raum an.« Wieder ließ sie eine Pause. Sie hörte den Regen gegen die Fensterscheiben trommeln und sah sich vor ihrem inneren Auge auf ihrer Matte sitzend, in ihrer Yogahose und dem T-Shirt, das ihre Oberarme noch muskulöser erscheinen ließ, als sie ohnehin schon waren. Du Wurst. Die täglichen Übungen hatten ihren Bizeps anschwellen lassen, kompakt und gedrungen fand sie ihn, ganz anders als bei Anselm, dessen Oberarme zwar fest, aber nicht rund waren. »Gerade in der heutigen Zeit, die oft so hektisch und …« – sie suchte nach dem passenden Wort, »… egoistisch ist, sollten wir uns auf das besinnen, was wirklich wesentlich ist.« Sie hatte das Gefühl, Angelika aus sich sprechen zu hören, die oft vom »Wesentlichen« sprach. »Denn darum geht es im Yoga«, sagte sie, »um das Wesentliche.« Sie beschloss, für die nächsten paar Tage auf Kohlehydrate zu verzichten.
Ayumi hatte die Augen jetzt auch geschlossen. Es war ihr unangenehm, den Kursteilnehmern direkt ins Gesicht zu sehen, weshalb sie während der Stunde meistens im Raum herumging und hier und da Hand anlegte, um jemanden besser in eine Position zu bringen. Aber zu Beginn musste sie ja vorne sitzen. Und sprechen. Willkürliche Akte der Freundlichkeit, wie kriegte sie jetzt den Übergang? »Es ist wesentlicher zu schenken als zu bekommen«, sagte sie. »Nicht immer nur im Ego verhaftet zu sein, sondern etwas für andere zu tun. Etwas, für das man nichts zurückerwartet. Wie Hunde das tun, oder Kinder …« Sie merkte, dass sie sich gerade verrannte. »Wenn man übers Wochenende verreist und seinen Hund zuhause zurücklässt, dann wird er einen freudig begrüßen, wenn man wiederkommt. Selbst wenn man vergessen hat, ihm Wasser hinzustellen. Hunde lieben bedingungslos.« Eine Frau hustete –Fotze ! –, Ayumi öffnete die Augen. Alle saßen mit ernsten Gesichtern auf ihren Matten, nur Holger lächelte vor sich hin. Vollvollvollvollvolltrottel! »Natürlich will ich damit nicht sagen, dass man vergessen sollte, seinem Hund Wasser hinzustellen.« Sie schloss die Augen wieder. »Und es hat ja auch vielleicht nicht jeder einen Hund.« Ob es irgendeinen Sinn ergab, was sie sagte? »Aber vielleicht gibt es etwas, das wir von Hunden lernen können. Etwas zu geben, ohne etwas dafür zu bekommen. Willkürliche Akte der Freundlichkeit.« Naja, wenigstens war sie jetzt, wo sie hingewollt hatte.
Ihr fiel ein, wie sie einmal versucht hatte, einen wirklich willkürlichen Akt der Freundlichkeit zu begehen. Es war während eines Griechenlandurlaubs gewesen, im Sommer vor ein paar Jahren. Auf dem Hinflug hatte sie einen amerikanischen Ratgeber über die Fähigkeit zum Glücklichsein gelesen, der lange auf Anselms Nachtkästchen gelegen und den mitzubringen er sie gebeten hatte, er war wegen eines Workshops schon vorausgefahren. Darin hatte der Autor dafür plädiert, Unbekannten einfach nur so etwas Nettes zu tun, Random Acts of Kindness hatte er das genannt. Als Beispiel hatte er angegeben, etwa an einer Straßenmaut-Stelle für das Auto hinter einem mit zu bezahlen, was ja nun in Deutschland leider
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