Meine Brüder, die Liebe und ich - Higgins, K: Meine Brüder, die Liebe und ich
„Komm mit, Butterbaby“, sage ich und ziehe an der Leine. Sie fällt knapp neben der Blume zu Boden und sieht mich vorwurfsvoll an. Ein Eichhörnchen, das ihr Aktivitätsniveau korrekt einschätzt, huscht über ihre rechte Vorderpfote. Buttercup reagiert nicht, sondern rollt sich nur grunzend auf die Seite. „Nun komm schon, Buttercup!“ Schließlich hieve ich sie auf die Pfoten und schleppe das klagende, schwanzwedelnde Bündel nach Hause. Ich glaube, es gefällt ihr. „Du bist wirklich erbärmlich“, schimpfe ich lachend.
Zehn Minuten später bin ich geduscht, umgezogen und wieder unterwegs. Buttercup jault traurig auf, wie ein Werwolf oder der Hund von Baskerville, und verstummt dann abrupt. Vermutlich ist sie wieder eingeschlafen.
Heute Abend findet die erste Unterrichtsstunde des Sanitätshelferkurses statt, und obwohl ich nicht genau weiß, worauf ich mich da einlasse, weiß ich dennoch, dass ich nicht jedes Mal wie eine Idiotin dastehen will, wenn irgendjemand auch nur das kleinste Wehwehchen hat. Mein ganzes Leben lang ist mir schwummerig geworden (um es mal nett auszudrücken), wenn ich Blut gesehen habe. Das muss sich ändern. Ich wäre gern mehr wie … tja, Aragorn, zum Beispiel. Auf den kann man sich in der Not wirklich verlassen. Nach dem Debakel im Spielzeugladen, wo ich mich vor Kim und Dad und Trevor blamiert habe, kann es so wirklich nicht mehr weitergehen. Zeit für eine Desensibilisierung!
Motiviert mache ich mich auf den Weg zum Eaton FallsHospital, in dem dieser Kurs einmal pro Woche stattfinden wird. Wer weiß, vielleicht lerne ich dort ja wirklich einen netten Typen kennen? Diesbezüglich konnten bislang nämlich weder Tara noch Sarah mit Vorschlägen aufwarten. Wie es scheint, ist jeder Mann, den sie kennen, entweder schon verheiratet oder mit mir verwandt. Vielleicht sollte ich das Jahrbuch meiner Highschool herauskramen und dort einmal nachschlagen, wen ich anrufen könnte. Hallo, hier ist Chastity O’Neill! Wie geht’s dir? Ich lebe wieder in der Stadt und dachte, wir könnten mal was trinken gehen, ein paar Körbe werfen … Ach, übrigens, bist du verheiratet?
Gedankenverloren trabe ich durch den Haupteingang des Krankenhauses und pralle mit jemandem zusammen, der auf dem Weg nach draußen ist. „Entschuldigung!“, rufe ich erschrocken.
„Meine Schuld“, sagt der Mann, und – ach, du Schreck! – er ist es! Der Typ aus dem Emo ! Mr. New York Times! Mr. Tolle Wangenknochen! Der, der mir keinen Drink spendiert hat!
„Hallo!“ Ich klinge wie ein euphorischer Teenager, der gerade Justin Timberlake entdeckt hat. Er lächelt vage und geht weiter, während ich ihm mit offenem Mund hinterherstarre. Was für ein schöner Mann! Sogar von hinten. Besonders von hinten. Sein Haar flattert leicht im Abendwind, sein Jackett weht über dem knackigen Hintern … Er trägt einen Anzug, aber keine Aktentasche. Arbeitet er hier? Hat er jemanden besucht? Wahrscheinlich seine Supermodel-Ehefrau, die gerade wunderhübsche Zwillinge geboren hat.
„Wissen Sie zufällig, wer dieser Mann gerade war?“, frage ich die ältere Dame an der Rezeption.
„Welcher Mann?“
„Der, der gerade gegangen ist.“
„Tut mir leid, den habe ich nicht gesehen.“
Mist. Im Moment habe ich wirklich gar kein Glück. Ichgehe in den Konferenzraum, in dem der achtwöchige Kurs stattfindet. Vielleicht treffe ich dort jemanden, denke ich hoffnungsvoll.
Aber ich treffe dort niemanden. Jedenfalls niemanden, der für mich infrage käme. Wir sind sechs Teilnehmer, drei Männer, drei Frauen, und ich versuche, nicht allzu enttäuscht zu sein, dass keiner der drei mein zukünftiger Ehemann ist, aus dem einfachen Grund, dass zwei von ihnen über fünfzig und alle verheiratet sind. Vielleicht ist ja wenigstens der Kursleiter ein gut gebauter Sanitäter oder Notarzt … aber nein. Herein kommt eine forsche Frau mittleren Alters mit krausen grauen Haaren und robusten Schuhen. Sie zieht ein Klemmbrett hervor und studiert die Liste. „O’Neill?“, fragt sie dann zackig.
„Hier“, antworte ich.
„Ich meine, sind Sie eine der O’Neills?“ Sie legt den Kopf schief.
„Wenn Sie damit meinen, ob ich eines von Mikes und Bettys Kindern bin – ja.“
Sie beginnt zu strahlen. „Ich bin Bev Ludevoorsk. Ich kenne Ihren Vater. Und Ihre Brüder, warten Sie … Matthew, Mark, Luke und John, stimmt’s?“
Ich nicke und bin stolz und irritiert zugleich. Stolz auf meine Brüder und irritiert, hier offenbar sofort in eine
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