Meine geheime Autobiographie - Textedition
abergläubischen Selbstbetrug hingegeben, von diesem Makel frei zu sein. Und so würde er niemals auf den Gedanken kommen, zum Wohle der Menschheit einen Plan zu entwerfen, der ihm nicht selbst zum Vorteil gereicht. Denn das ist die Natur des Menschen.
Aber – wir wollen es bekennen und eingestehen – wir alle
sind
damit befasst, uns die beste Methode auszudenken, wie man sich dem Schleifstein eines anderen nähert, denn wir alle sind Bettler; die beste Methode, eine Methode, die, so gut es geht, Anstößigkeit vermeidet, eine Methode, die am besten verspricht, das Schleifen der Axt zu gewährleisten. Wie könnte ein solcher Plan aussehen? Zum Beispiel:
Bringen Sie die Axt niemals selbst;
schicken Sie sie durch einen Fremden; oder durch Ihren Freund; oder durch den Freund des Schleifsteinbesitzers; oder durch einen Freund von Ihnen beiden.
Die letzte Vorgehensweise ist natürlich die allerbeste, aber auch die anderen sind gut. Sehen Sie, wenn Sie die Axt selbst verschicken (beispielsweise zusammen mit Ihrem neuen Buch), stellen Sie eines sicher: Der Schleifsteinbesitzer wird, noch ehe er einen Blick darauf geworfen hat, ein Vorurteil undeinen Widerwillen gegen Sie entwickeln. Weil – nun ja, einfach weil Sie ihm die Hände binden, weil Sie ihm die Unabhängigkeit rauben, weil Sie ihn in die Enge treiben, und er quält sich, er ärgert sich, er verübelt es Ihnen als Dreistigkeit, dass Sie ihn so unfair ausnutzen – und er hat recht. Er weiß, dass Sie die Absicht hatten, ihn gemein auszunutzen – mit all Ihren unbeholfenen Künsten haben Sie ihn nicht täuschen können. Er weiß, dass Sie Ihren Brief mit Vorbedacht und dem klaren Ziel formuliert haben, eine Antwort zu erzwingen. Sie haben ihm gehuldigt: Nach allen Gesetzen der Höflichkeit muss er dafür zahlen. Und er hat keine Wahlmöglichkeit: Zahlen muss er mit Danksagungen und Gegenkomplimenten. Ihr Erfindungsreichtum ähnelt dem des europäischen Berufsbettlers: Um zu verhindern, dass Sie vorgeben, seinen Brief nicht erhalten zu haben, schickt er ihn
per Einschreiben
– und Sie
sitzen
in der Falle!
Ich respektiere meine eigene Art, den Hut herumzureichen, aber nicht die anderer Leute. Das ist nur natürlich. Fremden meine Bücher zu schicken ist nicht meine Art. Das hieße, um Werbung zu betteln – man verfolgt einen Zweck, ob der Zweck nun in Worte gefasst ist oder nicht. Da dies nicht
meine
Art ist, um Almosen zu bitten, blicke ich mit polarkalter Geringschätzung auf sie herab. Auch das scheint mir nur natürlich zu sein. Als mir zum ersten Mal ein Fremder sein Buch zuschickte, freute ich mich wie ein Kind und nahm alle seine Komplimente für bare Münze; ich vermutete, er habe den Brief nur deshalb geschrieben, um die Komplimente einzuflechten. Ich las nicht zwischen den Zeilen, denn ich wusste nicht, dass zwischen den Zeilen auch noch etwas stand. Doch die Jahre gingen ins Land und bescherten mir Erfahrung, ich wurde zum Experten für Unsichtbares und konnte zwischen den Zeilen mehr Fleisch finden als anderswo. Danach bereiteten mir solche Briefe kein Vergnügen mehr; unausgesprochen, aber hartnäckig verlangten sie Bezahlung für ihre Komplimente, und ich schämte mich für den Komplimentemacher und auch für mich, weil ich nach dem Dafürhalten des Komplimentemachers auf einer so niedrigen Stufe stand, dass ich Komplimente selbst noch zu diesen Bedingungen schätzte.
Obwohl ich so viel daran auszusetzen habe, bin ich mir doch der Tatsache bewusst, dass Komplimente nicht oft verschenkt werden. Man erwartet eineRendite. Und man erhält sie auch – wenn die Komplimente allerdings per Brief verschickt werden, nicht immer. Wenn ein Publikum applaudiert, ist es sich gar nicht bewusst, dass es für dieses Kompliment Bezahlung verlangt. Aber das tut es; und falls der Applaus vom Empfänger nicht dankbar honoriert wird – etwa mit einer lächelnden Verbeugung –, wird das Publikum schnell merken, dass es sehr
wohl
mit einem Gegenwert gerechnet hat. Und es wird sich sogleich aus dem Handel zurückziehen; es ist nicht bereit, etwas für nichts zu geben, nicht wenn es sich kennt. Wenn ein schönes Mädchen ein Kompliment von unseren Augen auffängt, zahlt sie dafür sofort in bar: mit einem leichten lieblichen Erröten. Wir waren uns nicht gewahr, dass wir eine Gegenleistung erwarten, aber wenn sie uns, statt leicht zu erröten, mit gekränkter Würde anfunkelt, wissen wir es besser. Unter diesen Bedingungen wird sie mit uns keinen Handel mehr
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