Meine kaukasische Schwiegermutter
und der Respekt der Gemeinde sind ihnen wichtiger als Geld.
In deutschen Fastfood-Ketten spielt der Respekt der Kundschaft nicht die geringste Rolle. Wichtig ist dort einzig und allein, so viele Menschen wie möglich mit lebensmittelähnlichen Substanzen schnell und preiswert abzufüttern, ohne sie dabei lebensgefährlich zu verletzen. Die Deutschen sind auch ein tolles Essvolk, sie sind nicht besonders nachtragend und tolerieren schlechtes Essen, wenn es nicht anders geht. Niemand hier wird sich wegen eines in der Mitte völlig rohen Muffins beschweren oder wegen eines ausgetrockneten Brötchens in einer Bäckerei Theater machen. Oft habe ich gesehen, wie Menschen hier völlig ungenießbares Zeug, halbrohe Spaghetti oder Kuchen mit ekligem klebrigem Teig aßen, dazu H-Milchschaum tranken, den sie »Cappuccino« nannten, und dabei keine Miene verzogen.
Im Kaukasus würde kein Essensverkäufer es riskieren, einem Hungrigen einen nicht durchgebackenen Kuchen zu verkaufen. Die Kunden im Kaukasus sind zimperlich. Mit einem halb durchgebackenen Kuchen würden sie zum Verkäufer zurückgehen, aber nicht, um nach dem Beschwerdenbuch zu verlangen oder zu fragen, ob der Verkäufer sich heute schon mal die Hände gewaschen hat, sondern um mit diesem Kuchen den Verkäufer zu füttern. Diese Umgangsform ist so wild und unhygienisch wie die Küche selbst, hat aber zur Folge, dass im Kaukasus sogar ein Stück Käsekuchen, auf der Straße in eine Zeitung gewickelt, unvergleichlich besser schmeckt als dasselbe Stück in Deutschland, auf einem silbernen Tablett in schicken Restaurants serviert. Und ganz egal, was man im Kaukasus bestellt, man bekommt immer auch noch etwas dazu, was der Koch gerade für probierenswert hält.
Beinahe alles schmeckt dort so herausragend, dass ein mit Fastfood aufgewachsener Ausländer einen Kulturschock bekommt, wenn er mit der kaukasischen Küche in Berührung kommt. Einmal angefangen, kann man im Kaukasus nicht mehr mit dem Essen aufhören. Deswegen essen die Kaukasier quasi ununterbrochen. Der Tag beginnt hier mit einem leichten Frühstück, er wird mit einem zweiten, etwas aufwendigeren Frühstück fortgesetzt, dann wird relativ früh zu Mittag gegessen, was eigentlich nur ein Vorspiel zur Krönung des Tages, dem Abendessen, ist. Nach dem Mittagstisch und vor dem Abendessen werden noch ein paar Kleinigkeiten verspeist, ein paar Melonen aufgeschlitzt, ein Salat oder eine kalte Suppe serviert.
Bei diesem anstrengenden Tagesablauf ist es kein Wunder, dass die Frauen runde Hüften und einen großen Hintern bekommen, bei Männern entwickelt sich der Bauch. Das macht die Leute unglücklich, denn in ihrem Selbstverständnis sind die kaukasischen Männer sehr sportlich und die Frauen zart und dünn. Dieser krasse Unterschied zwischen dem Wunschbild und harter Realität stellt ein Problem dar. Aber die Kaukasier wären nicht die schlauen Kinder der Berge, wenn sie für das Problem nicht eine clevere Lösung gefunden hätten. Um ihrem Volkskörper gesunde Parameter zu geben, erfanden die Kaukasier die sogenannte kaukasische Diät. Bei ihr geht es natürlich nicht darum, weniger zu essen. Eine solche Minderung der Lebensqualität käme den Menschen hier nicht in den Sinn. Auch eine Umstellung auf fett- oder zuckerfreie Produkte oder die Aufnahme solcher im Westen weit verbreiteter sportlicher Aktivitäten wie Joggen oder Nordic Walking halten sie für wenig reizvoll. Ein Müsli essender, joggender Kaukasier wird als Hühnchen verspottet. Er wird die Achtung seiner Familie, den Respekt seiner Freunde, seine Autorität unter den Arbeitskollegen einbüßen, selbst die tollste Figur wird ihm dann kein Glück mehr bringen.
Die Diätfrage ist eine philosophische. Es ist außerdem noch nicht wirklich bewiesen, von welchem Essen man tatsächlich dicker und am dicksten wird. Oft wirkt dasselbe verschieden. Eine alte kaukasische Weisheit besagt: Von Wassermelonen werden Kühe schmal, Pferde aber dick. Welche Wirkung Wassermelonen auf Menschen haben, weiß niemand. Manche nehmen ab. Manche nicht. Die Kaukasier wären nicht Kaukasier, wenn sie nicht eine stressfreie Abkürzung bei der Lösung dieses Problems gefunden hätten. Kaukasier trinken zum Abnehmen Tee. Aber nicht irgendeinen Tee, sondern einen speziellen, den es in mehr als fünfzig Sorten gibt, die überall verkauft werden. Diese Tees tragen vielversprechende Namen wie Meine Silhouette , Das Phantom , Der Schatten oder sogar Der Flachmacher . Es sind pure
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