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Meine kaukasische Schwiegermutter

Meine kaukasische Schwiegermutter

Titel: Meine kaukasische Schwiegermutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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bewundert. Sie baten Olga daher, auch ihnen einmal eine kaukasische Prada -Tasche mitzubringen oder wenigstens so etwas Ähnliches. Für Olga war das eine harte Aufgabe: Eine passende Tasche für eine Freundin zu finden, ist bekanntlich noch schwieriger, als eine für sich selbst zu ergattern. Denn man fragt sich natürlich als Erstes, wie soll sie sein, die Tasche deiner besten Freundin? Gut soll sie sein, hübsch, das ist klar. Aber auch nicht zu gut! Das ist nämlich auch klar: Sie darf nicht besser sein als deine eigene Tasche. Originell soll sie aber schon sein. Natürlich nicht zu originell, damit die eigene Originalität nicht beschädigt wird. Und das Wichtigste ist: Sie soll von Stil und Farbe her eine ganz andere Tasche sein als die eigene. Die einfachste Lösung in dieser Situation wäre es, eine scheußliche Tasche zu kaufen und dann die Freundinnen davon zu überzeugen, dass diese Tasche genau die richtige sei und am besten zu ihnen passe.
    Meine Frau hat eine große Überzeugungskraft. So hat sie einmal vor meinen Augen eine Bekannte, die gerade nach der Entbindung noch etwas psychisch labil war, dazu gebracht, einen pechschwarzen Kinderwagen zu kaufen – mit dem Argument, das Kind würde in einem schwarzen Wagen besser schlafen und sich ruhiger verhalten. Das wisse sie selbst aus ihrer Kleinkindererfahrung. Die Bekannte zweifelte ein wenig, erlag aber dann der Überzeugungskraft meiner Frau, kaufte den schwarzen Kinderwagen und lief wie eine Talibanmutter damit im Bezirk herum. Sie erzählte auch begeistert an jeder Ecke, wie toll es sei, einen schwarzen Kinderwagen zu fahren, und wie gut und ruhig das Kind in diesem sargähnlichen Kasten schlafe. In der Tat fing der Kleine sofort an zu weinen, wenn man ihn aus dem Wagen hob. Später sah ich immer mehr Mütter mit schwarzen Wagen in unserem Bezirk und habe meine Frau dafür verantwortlich gemacht. Sie hob nur die Schultern und setzte eine unschuldige Miene auf.
    Im Kaukasus durchlitt sie aber einen echten Gewissenskonflikt. Sie mochte ihre Freundinnen sehr und konnte ihnen keine schlechten Taschen mitbringen. Aber auch mit guten Taschen tat sie sich schwer. Beim ersten Besuch auf dem kaukasischen Taschenmarkt kaufte meine Frau nach beinahe sechs Stunden des Herumüberlegens zwei Taschen. Eine für sich und eine für Tatjana. Zu Hause vor dem Spiegel meiner Schwiegermutter musste sie aber feststellen, dass die Tasche, die sie für Tatjana gekauft hatte, eindeutig zu gut für Tatjana war. Es war eine wirklich tolle Tasche, fast so toll wie die, die sie für sich selbst bestimmt hatte. Nicht ganz so toll, aber schon schön. Eine solch ungewöhnliche Situation benötigte außergewöhnliche Lösungen. Also beschloss meine Frau spontan, beide Taschen für sich zu behalten. Dafür verordnete sie sich einen zweiten Marktrundgang, einen Extratag, um noch einmal auf den Taschenmarkt zu fahren, aber nichts mehr für sich selbst, sondern nur noch für die Freundinnen einzukaufen. An diesem zweiten Tag hatten die Kaukasier aber gerade eine neue Lieferung von Prada -Taschen erhalten.
Olga fühlte sich dem Schicksal hilflos ausgeliefert. Das konnte keiner ahnen, dass ausgerechnet an diesem einen Tag so viele neue tolle Modelle eintreffen würden. Meine Frau wurde von der Invasion der neuen Taschen überrumpelt und kaufte, ohne lange zu überlegen, wir leben ja schließlich nur einmal, noch zwei Taschen nicht für ihre Freundinnen. Dabei kam sie sich selbst schon ziemlich ungeheuerlich vor, wie die sechsarmige indische Göttin des Todes, mit großen runden Augen und in jeder Hand eine Prada -Tasche.
    Erst beim dritten, dem letzten Gang über den Markt, fand Olga Taschen für Tatjana und Natascha. Die eine war weiß und die andere violett, beides nicht besonders markante Farben. Die Taschen waren groß, sahen aber sehr intelligent aus. Mit ihrem bescheidenen Schick waren sie zwar etwas zu bescheiden für den Kaukasus, aber genau richtig für Berlin. Die Mädchen waren dann auch sehr glücklich und zufrieden. Olga gab sich Mühe und lobte die Taschen ihrer Freundinnen in den Himmel. Es waren ja auch tatsächlich gute Taschen. Aber natürlich bei weitem nicht so gut wie Olgas saugeile Supertasche. Aber was soll’s. Man kann nicht alles haben.
     

 
10 -
Reine Kopfsache
     

     

Der Mensch hat kaum noch natürliche Feinde, außer sich selbst. Sein Misstrauen gegenüber anderen Lebewesen ist dadurch jedoch nicht weniger geworden. Überall vermutet der Mensch Gefahren.

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