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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Schreck und mitunter die Todesangst da. Glücklich bin ich jederzeit herausgekommen. Aber nicht durch mich. Kraft und Hilfe kamen von woanders her.
     
    Eine weitere Wassergefahr, die zu bestehen mir noch beschieden war, hatte nichts mit der See zu tun, sondern spielte sich auf dem Strom ab, dicht am Bollwerk, keine fünfhundert Schritt von unserm Hause. Davon erzähle ich auch noch in diesem Kapitel, aber zuvörderst schiebe ich hier ein anderes kleines Vorkommnis ein, bei dem kein Engel zu helfen brauchte.
    Schwimmen konnte ich nicht recht und steuern und rudern auch nicht; zu
den
Dingen aber, auf die ich mich gut, ja sehr gut verstand, gehörte das Stelzenlaufen. Unserer Familientradition nach stammen wir, wie erzählt, aus der Gegend von Montpellier, während ich persönlich meinem virtuosen Stelzenlaufen nach eigentlich aus den Landes stammen müßte, wo die Menschen wie mit ihren Stelzen verwachsen sind und diese kaum abschnallen, wenn sie sich zur Ruhe legen. Also kurz und gut, ich war ein brillanter Stelzenläufer und hatte vor denen in der westlichen Garonnegegend, wo die sehr niedrigen »échasses« zu Hause sind, noch das voraus, daß ich den Kothurn nicht hoch genug kriegen konnte, denn die an der Innenseite meiner Stelzen befestigten Holzklötzchen saßen wohl drei Fuß hoch. Und nun unter Anlauf und gleichzeitiger Schräglegung und Einstemmung der beiden Stangen brachte ich es dahin, mich mit Sicherheit auf die Stelzenklötze hinaufschwingen und sofort meinen Riesenschritt antreten zu können. Für gewöhnlich war das nichts als eine brotlose Kunst, aber ein paarmal hatte ich doch Vorteil davon, indem ich mich mit Hilfe meiner Stelzen einem sich über mir zusammenziehenden Gewitter entziehen konnte. Das war in den Tagen, als Hauptmann Ferber, der bis dahin bei den »Neufchatellern« gestanden, sich als Pensionär nach Swinemünde zurückgezogen hatte.
    Ferber, den die Swinemünder um seiner Neufchatellerschaft willen französierten und Teinturier nannten, war aus sehr guter Familie, wenn ich nicht irre, Sohn eines hohen Beamten im Finanzministerium, welcher letztre sich außerdem noch, aus den Anno dreizehner Kriegszeiten her, alter Beziehungen zum Hofe rühmen durfte. Dies war auch wohl Grund, daß dem Sohne, trotz Nichtadels und deutscher Abstammung (die Neufchateller Offiziere waren damals noch vorwiegend französische Schweizer), der Eintritt in das Elitebataillon ermöglicht wurde. Hier war er wohlgelitten, weil er klug, guter Kamerad und außerdem sogar Schriftsteller war. Er schrieb Novellen nach damals üblichen Mustern. Aber aller Wohlgelittenheit zum Trotz konnte er sich nicht halten, weil seine Vorliebe für Kaffee mit Kognak, die sich bald auf letzteren beschrankte, so rapide wuchs, daß er den Abschied nehmen mußte. Seine Übersiedlung nach Swinemünde hatte wohl darin ihren Grund, daß Seestädte für derartige Passionen besser passen als Binnenstädte. Kognakvorliebe fällt da weniger auf.
    Gleichviel indessen, was der Grund sein mochte, Ferber war an seinem neuen Wohnort bald ebenso beliebt wie vorher in Berlin, denn er hatte jene Charaktergütigkeit, die »der Flasche liebstes Kind« ist. Von meinem Papa hielt er sehr viel, was dieser erwiderte. Doch war diese Freundschaft nicht gleich von Anfang an da, sondern entwickelte sich erst aus einer kleinen Kontroverse bzw. Niederlage meines Vaters, zu dessen liebenswürdigen Eigentümlichkeiten es gehörte, seinen Ärger über eine »Déroute« spätestens nach vierundzwanzig Stunden in Anerkennung und beinahe Huldigung umzusetzen. Mit dieser Niederlage aber verhielt es sich so. Von seiten Ferbers war eines Tages behauptet worden, daß man wohl oder übel einen Deutschen als den »Vater der Französischen Revolution« ansehen müsse, denn Minister Necker, wenn auch in Genf geboren, sei der Sohn oder Enkel eines Küstriner Postmeisters gewesen – eine, so schien es meinem Vater, ganz stupende Behauptung, die denn auch seinerseits mit beinahe überheblicher Miene bekämpft worden war, bis sie sich schließlich als im wesentlichen richtig herausstellte. Da schlug denn sofort bei meinem Papa das aus seiner Überzeugung von seinem besseren Wissen erwachsene Selbstgefühl zunächst in Respekt, dann in Freundschaft um, und noch zwanzig Jahre später, wenn wir von unserem Oderbruchdorfe aus nach dem benachbarten Küstrin hineinfuhren, sagte er regelmäßig, ohne je bei Kronprinz Fritz oder Kattes Enthauptung zu verweilen: »Ja, hier aus Küstrin

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