Meine Kuehe sind huebsch, weil sie Blumen fressen
man bei seinem Tod, er sei »fällig« gewesen. Bei anderen
heißt es: »Das war wirklich eine gute Haut, aber das gilt ja nicht nur für ihn.« Bei mir wird das nicht anders sein, da mache
ich mir gar keine Illusionen. Für die einen ist man »ein alter Esel«, für die anderen »eine gute Haut«.
Andererseits bin ich ganz dem Leben zugewandt. In gewisser Weise existiert der Tod für mich nicht. Ich weiß, was mich erwartet.
Plötzlich ertappe ich mich dabei, wie ich davon träume, diesen schmerzhaften Augenblick nicht kennenlernen zu müssen, der
ebenso hart ist für den, der geht, wie für den, der bleibt. Natürlich muss man eines Tages gehen, aber ich mache mir Sorgen
um meine Schwestern. Am Ende sind wir doch allein. Wir müssen uns um uns selbst kümmern, uns selbst der Leuchtturm sein.
Ich sehe das Leben nicht mehr so wie vor zwanzig Jahren. Damals hatte ich ja noch Zeit, wenn man von den Altersangaben in
den Todesanzeigen ausgeht. Damals traute ich mich noch zu sagen: »Na, es war halt einfach Zeit für ihn.« Wenn ich heute Todesanzeigen
lese und sehe, wie alt die Leute waren, steht da oft mein Alter. Irgendwann in nächster Zeit werde ich das Programm für meine
Totenmesse zusammenstellen. Das wird schwierig für die Gemeinde. Sie brauchen für mich einen Nachfolger, schließlich mache
ich seit Jahrzehnten bei Beerdigungen den Mesner.
Ich bin hier nur auf der Durchreise. Früher oder später bin ich nicht mehr da, gehe nicht mehr ans Telefon und jemand anderer
wird statt meiner die Glocken läuten. Bis dahin aber sage ich, wenn man mich aufs Sterben anspricht:
»Ich habe einfach keine Zeit, woanders hinzugehen. Ich habe so viel zu tun, dass ich gar nicht sterben kann.«
Außerdem werden die Glocken von Auderville derzeit ausgebessert. Es wird Monate dauern, bevor man sie wieder läuten kann.
Ein Grund mehr, Paul, nicht zu sterben! Zu meiner Hochzeit, da müsste ich schon richtig Schwein haben, und zur Beerdigung,
wenn ich weniger Glück habe. Ich bin jetzt seit fünfundsechzig Jahren Mesner in Auderville. Es wird Zeit, dass ich mich nach
einem Nachfolger umsehe.
Was die Ehe angeht, so war unter den Tausenden Briefen, die ich erhalten habe, auch ein Heiratsantrag. Die Dame war sechsundneunzig.
Verglichen mit ihr bin ich noch ein Jüngling.
Das Leben offenbart uns nicht alle Geheimnisse. Wenn es für dich an der Zeit ist, dann merkst du es in dem Moment. Für mich
ist das, wie für jeden Christenmenschen,ein Geheimnis. Wenn du jung bist und im Krieg, kannst du jeden Augenblick draufgehen. Du hörst die Bomben einschlagen, aber
du denkst nicht einen Moment ans Sterben. Du klammerst dich einfach noch nicht so ans Leben. Du wirst von anderen Soldaten
gejagt. Der Krieg zerstört alles, jedes Gefühl für Menschlichkeit. Sie nehmen dir dein Land weg und stellen dort ihre Tötungsmaschinen
auf. Während des Krieges weißt du, dass der Tod dich treffen kann, aber du kannst damit leben. Einen Sinn gibst du deinem
Leben erst später.
Lange Zeit habe ich geglaubt, dass mein Leben nutzlos wäre. Viele Leute halten mich sowieso für einen Einfaltspinsel, weil
ich nicht jeden vermeintlichen Fortschritt mitgemacht habe. Zumindest hatte ich manchmal den Eindruck. Aber ich habe nicht
nachgegeben. Ich wollte keinen Kunstdünger auf meinen Feldern.
Hin und wieder sagte ich mir, dass der Tod ohnehin kommen wird und mein Leben vielleicht schon einen Sinn hat, aber dass dieser
im Leben danach liegt. Ich war glücklich mit meiner Familie und meinen Schwestern, wirklich sehr glücklich. Das würde mir
niemand nehmen können. Auf den Traktor klettern, den Möwen zuhören, auch beten. Mich von guten Sachen ernähren, da oder dort
Leute treffen. Diese kleinen Glücksmomente mögen belanglos erscheinen, aber wenn man in der Werkstatt nützliche Dinge macht
und das Holz riecht oder draußen beim Säen ist, dann zieht man daraus seine Befriedigung, eine tiefe Befriedigung. Du tauchst
richtig ein. Das ist unendlich schön.
Trotzdem frage ich mich natürlich, warum wir sterben müssen. Es wäre doch schön, wenn man einfach nur leben könnte!
Das hat Gott extra so eingerichtet, sonst würden wirja nicht sterben. Andererseits heißt Gott zu lieben, zu wissen, dass es außer dem blauen Himmel noch etwas gibt. Nicht, dass
man sterben möchte, da wäre man ja blöd. Und bliebe ganz dem irdischen Leben verhaftet. Mit Gott zu leben heißt vielmehr,
dass wir hier auf der Erde
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