Meine kurze Geschichte (German Edition)
unsere Familie in Highgate als recht gewöhnlich angesehen worden war, galten wir in St. Albans als exzentrisch. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch meinen Vater, dem es vollkommen gleichgültig war, wie sein Verhalten auf andere wirkte, solange es ihm nur half, Geld zu sparen. Seine Familie war in seiner Jugend sehr arm gewesen, und das hatte ihn geprägt. Er konnte sich nicht dazu durchringen, Geld für die eigene Bequemlichkeit auszugeben, auch nicht, als er es sich später hätte leisten können. Obwohl er schrecklich fror, weigerte er sich, eine Zentralheizung einbauen zu lassen. Stattdessen zog er sich mehrere Pullover und einen Morgenrock über seine normale Kleidung. Anderen Menschen gegenüber war er jedoch sehr großzügig.
In den fünfziger Jahren glaubte er, wir könnten uns kein neues Auto leisten; deshalb kaufte er sich ein Londoner Vorkriegstaxi und baute mit meiner Hilfe eine Wellblechbaracke, die er als Garage benutzte. Die Nachbarn waren schockiert, konnten aber nichts dagegen tun. Wie die meisten Jungen in diesem Alter fand ich das Verhalten meiner Eltern peinlich. Das hat sie aber nie gestört.
Für die Ferien kauften meine Eltern einen Zigeunerwagen und stellten ihn auf ein Feld in Osmington Mills an der britischen Südküste bei Weymouth. Die ursprünglichen Roma-Besitzer hatten ihn bunt und kunstvoll angemalt. Meinem Vater war das zu auffällig, deshalb strich er ihn komplett grün an. Der Wohnwagen hatte ein Doppelbett für die Eltern und darunter ein Schrankbett für die Kinder. Mit Hilfe von Tragen aus Heeresbeständen machte mein Vater daraus für uns Etagenbetten, während er mit meiner Mutter in einem ebenfalls ausgemusterten Militärzelt nebenan schlief. Bis 1958 verbrachten wir dort unsere Sommerferien, dann gelang es dem Grafschaftsrat schließlich, den Zigeunerwagen entfernen zu lassen.
Unser Zigeunerwagen
Unser Zigeunerwagen
ALS wir nach St. Albans zogen, wurde ich zunächst auf die High School for Girls geschickt, die ungeachtet ihres Namens Jungen im Alter bis zu zehn Jahren aufnahm. Doch nach einem halben Jahr begab sich mein Vater auf eine seiner fast jährlichen Afrikareisen, diesmal für einen längeren Zeitraum von vier Monaten. Um der Einsamkeit zu entgehen, nahm meine Mutter meine beiden Schwestern und mich und besuchte ihre Schulfreundin Beryl, die mit dem Dichter Robert von Ranke-Graves verheiratet war. Sie lebten in dem Dorf Deià auf der zu Spanien gehörenden Insel Mallorca. Das war 1950, und der spanische Diktator Francisco Franco, im Krieg Verbündeter von Hitler und Mussolini, war noch immer an der Macht. (Das blieb er auch noch weitere fünfundzwanzig Jahre.) Trotzdem reiste meine Mutter, die vor dem Krieg der Young Communist League angehört hatte, mit ihren drei Kindern per Schiff und Bahn nach Mallorca. Wir mieteten uns ein Haus in Deià und verlebten eine wunderbare Zeit. Ich wurde zusammen mit Graves’ Sohn William von dessen Hauslehrer unterrichtet.
Dieser Lehrer war ein Schützling des Schriftstellers und mehr daran interessiert, ein Stück für die Edinburgh-Festspiele zu schreiben als uns zu unterrichten. Deshalb ließ er uns jeden Tag ein Kapitel aus der Bibel lesen und darüber einen Aufsatz schreiben. Damit wollte er uns die Schönheit der englischen Sprache vor Augen führen. Wir brachten die gesamte Schöpfungsgeschichte und einen Teil des Auszugs aus Ägypten hinter uns, bevor ich wieder abreiste. Zu den wichtigsten Dingen, die ich gelernt habe, gehörte, dass man einen Satz nicht mit «Und» beginnen solle. Ich wies darauf hin, dass die meisten Sätze in der Bibel mit «Und» begännen, und erfuhr, dass sich die englische Sprache seit den Zeiten von King James gewandelt habe. Warum man uns dann in der Bibel lesen lasse, wollte ich wissen.
Aber das half uns nichts. Robert von Ranke-Graves schwärmte damals für die Symbolik und den Mystizismus der Bibel. Es gab keine Möglichkeit, Einspruch zu erheben.
Unser vorübergehendes Zuhause: Deià, Mallorca
Mit Robert von Ranke-Graves’ Sohn William
Als wir zurückkamen, begann gerade das Festival of Britain. Damit wollte die Labour-Regierung den Erfolg der Great Exhibition von 1851 wiederholen, der ersten Weltausstellung in der modernen Bedeutung des Wortes, die Prinz Albert organisiert hatte. Das Festival bot eine angenehme Unterbrechung der kargen Nachkriegsjahre in Großbritannien. Die Ausstellung am Südufer der Themse vermittelte mir einen ersten Eindruck von neuen Entwicklungen in
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