Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)
richtig, das erste Mal in meinem Leben vernahm ich auch mein Herz. Ganz deutlich vernahm ich es. Kein Zweifel: Ich hatte ein Herz. Und die Suhler Oma lachte und lachte, so dass ich wütend wurde über ihr Lachen, das ja ein Lachen der Befreiung war. Gerade noch tot und jetzt schon wieder lebendig mit Omas Lachen und dem Bett, in das ich jetzt ganz sanft hineingelegt wurde. »Es ist wieder gut«, dachte ich, nun wieder ein seliges Kind. Eine Hand fuhr durch mein semmelblondes Haar, ein Streicheln, und da es nun gegen Abend ging, hörte ich die Amsel im Garten, die mir ein Gutenachtlied sang, denn sie wusste wohl, dass ich sehr müde war.
Ich hatte so viel gelernt bei meinem ersten mir bewussten Ausflug. Eine umfassende Lebenslektion war das. Alles war dabei: Aufstehen, Fortgehen wollen, Todesangst und Erlösung. Ein Bett, meine Oma Käthe, Befreiung und Amselgesang. Mein Gott, wie einfach und dennoch groß kann sie sein, die Welt, wenn man die Zeichen verstehen lernt.
Und ist es nicht ein Zeichen, ich meine, ein Lebenszeichen, wenn mein Lieblingsspruch heute lautet: »So schön wie äh Tach oh sein kann, mor is dann doch abends froh, wenn mor wieder in sei Bette liecht.« … Noch dazu in einem Bett ohne Gitter.
Waschhausbesuche
Ein Kapitel für sich waren Waschhausbesuche. Damit war kein außerhäusiges Waschen gemeint. Nein. Nein. Nein. Alle vier Wochen am Donnerstagabend … Dämmert’s? Ab ins Waschhaus! Wenn es nach Gummistiefeln roch, dann war der Waschwolf nicht weit. Einweichen hieß die harte Arbeit. Im Waschhaus erwarteten Uwe Abenteuer mit Holzwannen, Eimern und Zubern. Vorderhaus und Hinterhaus teilten sich die Reinigungsstätte, in der Frau Domaschke genauso wusch wie Taders . . . wenn sie denn wuschen! Es wurde registriert, wer und wer nicht.
Jede Familie hatte ihre eigenen Wannen, fein säuberlich abgestellt im eigenen Keller. Und wenn die drecksche Wäsche rief, und sie rief, wie schon gesagt, erbarmungslos alle vier Wochen, hieß es hinabsteigen in den feuchten, kalten Kohlekeller, wo Spinnen hausten und Ratten wachten.
»Feuer und offenes Licht verboten«, stand an der Kellertür. »Turnen an der Klopfstange verboten.« »Ballspielen verboten.« Waschen war erlaubt. Wenn dann endlich die Wannen hochgewuchtet waren und das Waschhaus eingerichtet, dann folgten Wannen wässern und Holzböcke aufstellen, über die Uwe gerne Hürdenlaufen probte. Und dann blieb ihm noch ein bisschen Zeit für das Stabhochsprungtraining mit dem Waschwolf über die Waschwanne. Eine Wonne! Gerade kommentierte Heinz Florian Oertel Wolfgang Nordwigs Stabhochsprung im Fernsehen, schon wurde diese Sportart in ein intensives Training umgesetzt, im Waschhaus, ein Stockwerk tiefer.
Am schönsten konnte Uwe springen, wenn schon eingeseifte Laken im Kernseifenwasser auf den alles entscheidenden Sprung warteten.
Die seifenschwangeren Laken bremsten den Einstich des Wolfes sanft ab, sodass nur ein unverdächtiges Glucksen das Wasser aus der Kochwäsche drängte, und Uwe schwebte gedämpft . . . vor die Füße seiner Mutti. Er hatte sie nicht bemerkt. Wie kam Mutti denn ins Stadion? Brachte sie wenigstens die Goldmedaille mit? Es »fatschte« nur.
»Uwe, du hättest dir das Genick brechen können«, weinte die Mutti fast, und ihr tat die Ohrfeige bestimmt genauso weh wie Klein-Uwe.
Der konnte immerhin ein sauberes Laken vorweisen. Stimmte schon, was die Mutti prophezeite: Genick brechen war ganz schlimm, und dann womöglich noch Querschnittslähmung dazu!
Als ob es noch einer verschärfenden Bestätigung und Warnung bedurfte: »Denk’ dran, Uwe, was die Oma immer sagt, man kann von der Hitsche fliegen und tot sein oder sich das Genick brechen!«
Daher grenzt es an ein Wunder, dass Uwe im Hochsicherheitswaschhaus mit dem Leben davonkam. Um seine Mutti zu beruhigen, zitierte er ebenfalls die Oma, auch, um zu zeigen, dass er über alle Gefahren informiert war: »Man kann auch in einer Pfütze ertrinken.« Es fatschte noch mal.
Das begriff Uwe nun nicht, und aus seinem erschrockenen, verständnislosen Blick entnahm die Mutter endlich im Einverständnis, dass hier ein Missverständnis vorlag.
Im Endeffekt war Uwe heilfroh, dass er im Waschhaus überlebt hatte, auch diesmal wieder, im Februar 1970. Draußen am Waschhausfenster bildeten sich Eisblumen, und drinnen durchwabberte Kernseifennebel die Waschhauspoesie.
Heimelig war es, herrlich heimelig auf engstem Raum, nur er und seine Mutter. Sie tauchte ab und zu aus dem
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