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Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Titel: Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Steimle
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»ausländisch« und dann? »Wer Terrorist ist, bestimme ich.« Wer hat das doch gleich gesagt? Wehret den Anfängern!
    Da sind wir bei der Systemfrage. Noch lässt sich das Raubtier Kapitalismus mit Geld füttern, aber das Tier bleibt hungrig-gierig, und all die Milliarden 00000 werden nichts nützen, denn Banker sind süchtig. Einmal Zocker, immer Zocker! Sie brauchen den Duft von Geld. Wir nur den von Semmeln. Herr, wenn es krachen sollte, lass uns Semmeln verteilen in den Bankzentralen dieser Welt. Echte Semmeln, in denen noch der eine Tropfen Schweiß des Meisters steckt, den er verlor beim Kneten und der hineinstolperte in den aufgehenden Hefeteig. Das Salz der Erde ist im Menschen. Wenn das nicht göttlich ist, dann weiß ich auch nicht weiter, und ich denke nun an mein allererstes Bild, das ich von mir habe, meine allererste Erinnerung überhaupt:
    Meine allererste Lebenserinnerung hat mit meinem Gitterbett zu tun, und ich erlangte sie, wie überhaupt mein erstes bewusstes Sein, durch die Gitterstäbe, durch die ich meinen Kopf gesteckt hatte. Auf diese Weise kam ich zum Bewusstsein meiner selbst, zu nützlichen Vorsätzen auch und zu der bereits im Titel angekündigten Lebenslektion, und zwar einer umfassenden.
    Bruchstückhaft sind die Erinnerungen, aber sehr deutlich. Wie alt war ich da? Zwei oder doch schon drei Jahre? Wahrscheinlich zweieinhalb .
    Warum kam ich nicht mehr zurück? Gab es keinen Weg zurück? Welch wohliges Gefühl, als die Ohren die weißen Holzgitterstäbe passierten! Angeschmiegt an meinen Kopf waren die Stäbe, und für einen kurzen Augenblick spürte ich ein sanftes Rauschen im Ohr. Was war das? Was rauschte da kurzzeitig auf so sanfte Art? Später, in der 8. Klasse, als der
Mensch ausführlich im Biologieunterricht behandelt wurde, trat es überdeutlich in mein Bewusstsein, was das war. Dieses Rauschen. Das war ich. Ein Rauscher. War ich selbst. »Ja, ich konnte mich an mir selbst berauschen«, schoss es mir durch den Kopf. Ich musste nur die Ohren anlegen und mit dem Kopf durch die Wand gehen, genauer gesagt, durch die Gitterstäbe.
    Wenigstens konnte so dieser erste große und wie sich im Nachhinein herausstellte, Tragik und Panik bringende Moment elegant gemeistert werden, mehr noch, eine heitere Seite wurde ihm abgerungen. Denn ist es nicht tragikomisch, wenn man zwar mit dem Kopf durch die Gitterstäbe gelangt, aber dann nicht mehr zurückkommt? Meine ersten bewussten Erinnerungen an mein Erdendasein sagen mir aber mit Bestimmtheit, dass mir damals nicht nach Komik zumute war. Ich hatte Angst, panische Todesangst, und ich fürchtete zu ersticken.
    Seitdem meide ich Gitter, Mauern und Grenzen überhaupt, denn es passiert eben, dass es da kein Zurück mehr gibt, und eine Oma Käthe aus Suhl ist auch nicht immer zur Stelle.
    Die nämlich befreite mich nach einer Zeit, die mir unendlich lang erschien und nach verzweifelt panischem Ringen, der Erschöpfung nahe, aus meiner misslichen Lage, und auch dann war das Gefühl der Todesangst noch übermächtig präsent.
    So war also mein erstes mir bewusstes Lebenszeichen auch ein Zeichen des Todes. Daran ließ sich fortan nichts mehr ändern. Bis zum Lebensende werde ich diese Erfahrung nun im Furchtzentrum meines Gehirns eingebrannt wissen. Aufgehoben in der Amygdala. Sie wissen nicht, was das ist? Ehrlich gesagt: Ich weiß das auch nicht so genau, aber dort soll diese schreckliche Erfahrung jetzt für immer aufgehoben sein.
    Ungestraft durchbricht man keine Gitter oder Mauern, oder wie es später zum Leitmotiv einer ganzen Generation
wurde: Ein intelligenter Mensch klopft nicht gegen Rost, er lebt mit ihm. Aber das wusste ich damals noch nicht, und es mangelte mir auch an Intelligenz. Völlig ahnungslos war ich und mir keiner Schuld bewusst. Ein 2½-jähriges Kind auf dem Weg ins Leben, aus dem Bett in die Freiheit wollend, und dann gleich diese fürchterliche Strafe! Was war das für ein Gott, der mein starkes Lebenszeichen mit dem Tod bestrafen wollte? Und sein Sohn? Der Erlöser und das ewige Leben? Wie aber sollte ich ewig leben, wenn ich immer Angst haben musste, bestraft zu werden, wenn ich in die Freiheit wollte und gegen die Unterjochung rebellierte? Und die Suhler Oma Käthe, Mutter meines Vaters, war sie nicht die Erlöserin? Drückte sie nicht zielstrebig die weichholzweißen Gitterstäbe beiseite und half?!
    Ja, es stimmt: Weich war die Erlösung, vor allem weich. Mein Herz fand endlich seinen gewohnten Schlaggang wieder. Ja,

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