Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
seien die Polizisten sodann zur Villa Winter gefahren und hätten dort tatsächlich drei etwas verwahrlost wirkende Typen vorgefunden, die vom Hausmeister des Anwesens mit einem Luftgewehr in Schach gehalten wurden. Mit etwas Mühe konnten sie den Verwalter davon überzeugen, dass es sich bei den Eindringlingen um harmlose, angetrunkene Touristen handele, und nicht um Räuber und Brandstifter. Sie hätten die Herren in ihren Jeep geladen und zurück in die Zivilisation gebracht.
»Dolle Geschichte«, sagte ich, »und was ist jetzt die Villa Winter?«
Bevor unser Erzähler eine Erklärung liefern konnte, ertönten von draußen deutsch-russische Schlachtgesänge. Wir sprangen auf die Terrasse – und da kamen sie. Rostislav und Artjom hatten Vater in ihre Mitte genommen, er hinkte stark, alle drei waren sie in einer derangierten Verfassung, völlig verdreckt, nass und sturztrunken.
Darya griff sich Rostislav und schob ihn ohne viel Federlesens ins Badezimmer. Mutter sank Vater in die Arme und weinte schon wieder, ob aus Freude oder weil der Zustand des Gatten ihr Angst einjagte, war nicht zu erkennen.
»Pauuula«, jaulte Artjom und ließ sich schwer auf mich fallen, »das glaubsssu nich’, was wir erlebt ham …«
Ich führte ihn ins Schlafzimmer, er ließ sich rücklings auf das Bett fallen und begann übergangslos zu schnarchen.
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24
E rst gegen Mittag des nächsten Tages waren unsere Ehemänner so weit wiederhergestellt, dass sie einen chronologischen Erlebnisbericht liefern konnten.
Der Bus hatte sie wie geplant zur Halbinsel Jandía gebracht. Nach einem erneuten Blick auf die Karte gab Vater die Richtung vor und schritt mit hohem Tempo voran, grimmig entschlossen, den erlittenen Zeitverlust wieder wettzumachen. Rostislav und Artjom folgten ihm leise murrend, da sie den Sinn dieser Veranstaltung nicht wirklich durchschauten. Für laut geäußerte Kritik fehlte ihnen allerdings die Luft, da Vater sie an einer Ziegenfarm vorbei über einen ansteigenden Passweg durch das Gran Valle jagte, das vor ihnen liegende Jandía-Massiv fest im Blick. Endlich, auf der Passhöhe angekommen, entschädigte sie ein grandioser Blick über die Playa de Cofete, ein einsamer, feinsandiger Strand, für die Anstrengungen.
»Pause«, bestimmte Vater und holte spanische Wurst, Käse und Baguette aus dem Rucksack. Rostislav steuerte aus den Untiefen seiner Tasche Wodka und Kekse bei. Mittlerweile rauschte ihnen der Wind gewaltig über die Köpfe, besorgt deuteten Rostislav und Artjom auf die dunkle Wolkenfront.
Vater winkte ab, das habe nichts zu bedeuten, die Wolken würden bei dem Wind sofort wieder abziehen. Drei Minuten später waren sie vom einsetzenden Regen komplett durchnässt.
Vater hantierte mit der durchweichten Karte und war dafür, den Rückweg anzutreten. Rostislav hatte jedoch in der Ferne eine Ansammlung von Häusern entdeckt und meinte, dorthin könne man doch viel schneller gelangen. An der Flanke des Berges begannen sie den Abstieg, rutschend und stolpernd, über Geröll hinweg. Vater, der geübte Wandersmann, strauchelte und fiel fluchend hin. Trotz seines festen Schuhwerks hatte er sich den rechten Knöchel verstaucht, ein Weitergehen war ihm unmöglich.
Er befahl Rostislav und Artjom, ihn liegen zu lassen und Hilfe zu holen. Doch die beiden weigerten sich, ohne ihn auch nur einen Schritt zu tun.
»Ein Russe lässt niemals seine Familie im Stich«, schrie Artjom gegen den Sturm an und nahm Vater huckepack, Rostislav schulterte den Rucksack.
Sie kamen nur langsam voran, erreichten aber doch das rettende Dorf, das wie ausgestorben war. Sie suchten zwischen den ärmlichen Häusern nach einer Menschenseele und fanden eine für den kleinen Ort überdimensionierte Bar, deren Betreiber hocherfreut war, sie zu sehen. Nicht im Entferntesten hatte er gehofft, bei diesem Wetter Umsatz zu machen.
Da seine Gäste froren, kochte er schnell einen starken Kaffee, den er großzügig mit Honigrum auffüllte. Die Männer entledigten sich ihrer nassen Kleidung und genossen die Spezialität des Hauses in Unterwäsche, man war ja unter sich.
Rostislav wühlte in seiner Tasche und förderte mehrere Pillenschachteln zutage, allesamt mit kyrillischem Aufdruck, die er Vater für seinen schmerzenden Fuß in die Hand drückte. Der, nach den Erfahrungen mit Alexejs Narkosemittel jeglicher osteuropäischer Medikation gegenüber unaufgeschlossen, lehnte dankend ab, bestand darauf, dass es kaum noch weh täte, und trank lieber
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