Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
los.
Mutter saß in ihrem Korbsessel und wimmerte ein wenig, Darya stand neben ihr und tätschelte, ich ging nervös auf und ab. Andere Gäste strömten in der Empfangshalle an uns vorbei und musterten das seltsame Trio: eine heulende Frau, eine Halbnackte im Bademantel und eine mit hektischen roten Flecken im Gesicht, die sich wie ein Hamster im Rad gebärdete. Das würde für Gesprächsstoff an der Bar sorgen.
Nach geschlagenen fünfundvierzig Minuten quälte sich ein übergewichtiger Polizist die Treppen zum Hotel herunter und watschelte zur Rezeption. Ich sprang auf ihn zu und packte ihn am Arm.
»Hola, Señorita!«, sagte er erfreut.
»Señora«, antwortete ich, so viel Anstand musste sein. Ich redete auf den Dicken ein, der Rezeptionist kam zu Hilfe und übersetzte. Die Worte flogen wie Pingpongbälle zwischen den Männern hin und her.
Unser Dolmetscher nickte verständnisvoll, seufzte und sagte: »Es ist, wie ich befürchtet habe. Ein Hubschrauber kann bei dem Sturm nicht starten. Außerdem wird eine Gruppe Jugendlicher vermisst, die surfen wollten. Alle Einsatzkräfte sind mit der Suche nach ihnen beschäftigt. Sie verstehen, das sind fast noch Kinder …«
»Scheiß auf Kinder«, brüllte ich, »mein Mann ist weg.«
Eine Schar Schaulustiger hatte sich inzwischen mit geringem Diskretionsabstand um uns versammelt. Nach meinem Ausbruch wich die Menge entsetzt zurück, Mütter brachten ihre Söhne in Sicherheit, Väter legten schützend die Arme um ihre Töchter.
Nun kam Darya ins Spiel, hakte meine beiden Gesprächspartner unter und führte sie etwas abseits. Die drei steckten die Köpfe zusammen, eine lebhafte Unterhaltung entstand, in der gescherzt und gelacht wurde. Meine Schwiegermutter tätschelte dem Polizisten dabei mehrmals den Bauch. Hochzufrieden kamen sie zu uns zurück und verabschiedeten sich voneinander.
»Alläs gutt«, sagte sie, »dawai.«
»Wohin denn? Was passiert jetzt? Worüber habt ihr geredet?«
»Paula! Dawai!«
Etwas in ihrem Ton sagte mir, dass gerade nicht der Zeitpunkt war, um dumme Fragen zu stellen. Gemeinsam hievten wir Mutter aus dem Korbsessel und gingen durch den allmählich schwächer werdenden Regen zu unseren Appartements. Wir setzten uns in die mittlere der Behausungen, Darya zauberte aus ihrem unendlichen Fundus eine Flasche Cognac.
»Kannst du mir jetzt bitte sagen, was ihr eben besprochen habt?«, fragte ich.
»Alläs gutt«, sagte meine Schwiegermutter, »warten. Dickärr Mann findet.«
»Das versteh ich nicht. Ich denke, die haben keine Kapazitäten mehr frei? Wieso …«
»Poletschka, alläs gutt.«
Okay, dachte ich, hören wir auf die große Zeremonienmeisterin. Viel mehr können wir sowieso nicht tun. Wir flößten Mutter Cognac ein. Und warteten.
Gegen ein Uhr betrat ein Fremder das Appartement, wieder ein anderer Rezeptionist, doch wesentlich besser instruiert als sein Vorgänger.
»Wir haben sie!«, rief er.
Mutter und ich jubelten, Darya nickte nur, als hätte sie nichts anderes erwartet.
»Wo sind sie denn?«, fragte ich.
Wir müssten uns noch etwas gedulden, erklärte der Überbringer der guten Botschaft, einer der Herren hätte sich wohl am Fuß verletzt und werde noch ärztlich versorgt, nichts Schlimmes, nein, wahrscheinlich eine Zerrung.
»Ja, aber wo waren sie denn?«
Das sei eine lustige Geschichte, er lachte herzlich, und dass sie so einen glücklichen Ausgang genommen habe, hätten wir auch und vor allem dem Einsatz von Hauptmann Alvarez zu verdanken.
»Wer ist Hauptmann Alvarez?«, fragte ich.
»Dickärr Mann«, sagte Darya.
Genau, genau, fuhr der Herr vom Empfang fort, die gute spanische Küche … Jedenfalls hätte Señor Alvarez, einer inneren Eingebung folgend, einen mit zwei Kollegen bemannten Range Rover nach Cofete geschickt, um die Lage vor Ort zu sondieren. Die Einheimischen dort wussten von drei Ausländern zu berichten, die sich vor dem Regen in die kleine Bar des Dorfes geflüchtet hatten.
»Ha«, rief ich, »hab ich’s nicht gesagt?«
Durchnässt und durchfroren hätten die Männer sich dort an heißen Getränken und Geschichten über die geheimnisvolle Villa Winter, die nur ein paar hundert Meter entfernt liege, gewärmt. Angeregt durch die Erzählungen des Wirtes seien die Fremden mit unbekanntem Ziel zu später Stunde aufgebrochen.
»Was ist denn die Villa Winter?«, fragte ich.
»Geduld, Señora, Geduld«, ermahnte mich der Märchenonkel und fuhr fort.
Nach Rücksprache mit Hauptmann Alvarez
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