Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
das ist ein relativ großes Areal. Wissen Sie es etwas genauer?«
»Äh, ein Valle war noch im Gespräch.«
»Sie wollten also durch ein Tal gehen«, sagte der Mann und hüstelte, »das hilft uns nicht wirklich weiter. Wann sind die Herren denn aufgebrochen?«
»Ungefähr um halb eins.«
»Hmm. Haben die Herren ein Handy dabei?«
»Ja, das haben wir natürlich als Erstes probiert. Wir können sie nicht erreichen.«
Der Concierge kratzte sich ratlos am Kopf.
»Mein Vater ist ein erfahrener Bergsteiger, und hier auf der Insel kann ja nicht viel passieren«, warf ich ein, weil ich das Gefühl hatte, etwas sagen zu müssen, um der Situation die Dramatik zu nehmen, schließlich klammerte sich Mutter die ganze Zeit an meinen Rockzipfel. Ich zwinkerte ihm aufmunternd zu.
»Nun ja«, er hüstelte wieder, »so ein Unwetter ist nicht ganz ungefährlich. Die wenigsten Wanderwege auf Fuerteventura sind befestigt oder ausgeschildert. Oft geht man über alte Ziegenpfade oder durch die Barrancos.«
»Durch die was?«
»Barrancos, ausgetrocknete Flussbetten. Bei Tageslicht und Sonnenschein überhaupt kein Problem, aber bei Regen …«, er schaute nachdenklich nach draußen in die Sintflut und senkte die Stimme, »… da kann ein Barranco leicht zur Todesfalle werden.«
»O mein Gott!« Mutter sank zitternd in einen Korbsessel. Herzlichen Dank, dachte ich, fixierte mein Gegenüber und erhob etwas die Stimme.
»Wie gesagt, mein Vater ist recht trittfest. Außerdem vermute ich, dass unsere Männer in irgendeiner Kneipe den Regen abwarten und …«
»In der Gegend gibt es keine Kneipen. Das ist ein Naturschutzgebiet.«
»Und was schlagen Sie jetzt vor? Was sollen wir tun?«
Erneutes Kopfkratzen. Vielleicht hat er Läuse, dachte ich.
»Nun ja, vielleicht sollten wir noch ein wenig abwarten, bevor wir die Guardia Civil informieren. Eine Suche wird schwierig, Sie wissen ja nicht genau, wo die Herren überhaupt hinwollten.« Er klang jetzt vorwurfsvoll.
»Danke für Ihre Hilfe«, sagte ich und zerrte Mutter, die zur Schnappatmung übergegangen war, aus ihrem Sessel. Langsam machte sich eine gewisse Unruhe in mir breit.
»Komm, wir suchen Darya.«
Wir fanden sie unter einer Quark-Gurken-Maske, auf dem direkten Weg zur Tiefenentspannung. Daraus wird nix, dachte ich und schnippte ihr das Gemüse von den Augen.
»Da?« Sie richtete sich erstaunt auf.
»Wir haben ein Problem. Die Männer sind immer noch nicht da.«
Sie pulte sich in aller Ruhe den Quark aus den Augenwinkeln und schaute mich fragend an.
»Rostislav, Artjom, Papa – weg. Futsch. Verschwunden. Verstehst du?«
Sie verstand, aber es machte ihr nichts aus.
»Kain Prrobläm«, sagte sie und lehnte sich gelassen zurück.
»Doch, wir haben ein Problem«, erwiderte ich, »die drei sind vielleicht in Gefahr. Hättest du die Güte, deine Wellnessstunde zu unterbrechen?«
»Was machen?«, fragte sie.
»Wir warten noch ein wenig, und dann verständigen wir die Polizei.«
»Okay, warten.« Sie schloss schläfrig die Augen.
Das kann ja nicht wahr sein, dachte ich, wegen jedem Mist macht die sonst Theater, aber wenn’s mal ernst wird, macht sie nix. Ich rüttelte ein wenig an ihrer Schulter.
»Los, Darya, auf geht’s.«
Mit einem missbilligenden »Ts« rollte sie sich von der Liege und hüllte sich verschnupft in einen Bademantel. Wir marschierten zurück zur Rezeption. Dort hatte zwischenzeitlich ein Wachwechsel stattgefunden, ein neuer Mensch stand hinter dem Tresen, dem ich unsere Geschichte noch einmal von vorn bis hinten schildern musste. Sein Kollege hatte es nicht für nötig befunden, ihn über das Verschwinden dreier Gäste zu informieren.
»Ja, was machen wir denn nun?«, fragte er und versuchte, nicht auf den Gurkenrest zu starren, der meiner Schwiegermutter am Kinn klebte.
»Wir rufen die Polizei«, antwortete ich.
»Kaine Polizei«, sagte Darya.
»Also, was jetzt?«, fragte der Concierge.
»Polizei«, beharrte ich, »Suchtrupps, Feuerwehr, Helikopter. Hauptsache, es passiert was.«
»Wie Sie wünschen.« Er wählte eine Nummer, redete stakkatoartig auf Spanisch auf jemanden ein und wandte sich wieder an mich. »Es kann einen Augenblick dauern, bis jemand kommt. Sie können sich sicher vorstellen, dass die Guardia Civil bei so einem Unwetter viel zu tun hat. Gehen Sie ruhig so lange in Ihre Appartements zurück. Ich gebe Ihnen dann Bescheid.«
»Nichts da. Wir warten hier.« Mach dir keine Hoffnung, Burschi, dachte ich, du wirst uns nicht
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