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Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)

Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)

Titel: Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annabel Pitcher
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die Menge drängten, spürte ich, wie ihre Rippen sich bewegten, als sie Luft holte.
    Die Zeit verging gleichzeitig zu schnell und zu langsam, und dann standen wir vor Mum, und die Luft knisterte wie Reiscrispies, weil Hunderte von Gefühlen aufplatzten. Ich wartete darauf, dass Mum mich umarmte oder auf den Kopf küsste oder irgendwas zu meinem Spider-Man-Shirt sagte. Aber sie lächelte nur und starrte dann auf den Boden.
    Hallo , sagte ich. Hallo , antwortete Mum. Hallo , murmelte Jas. Ich beugte mich vor und breitete die Arme aus. Mum rührte sich nicht. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich trat auf Mum zu, legte die Arme um sie und stellte erschrocken fest, dass ich ihr nicht mehr bis zur Brust, sondern fast bis zur Schulter reichte. Sie ist geschrumpft, dachte ich, was natürlich Quatsch war, trotzdem kam es mir so vor. Wir berührten uns grade mal zwei Sekunden. Ich hatte mir eine perfekte Umarmung gewünscht, aber es fühlte sich hart und kalt an, als ob zwei Puzzle-Stücke einfach nicht ineinanderpassten, so sehr man auch draufdrückte.
    Dein Lied war toll , sagte Mum, als sie zurücktrat. Die Worte klangen so hohl, als seien sie mit einem ganz dünnen Bleistift auf ein riesiges Blatt Papier geschrieben worden, so dass zwischen den einzelnen Buchstaben zu viel Platz war. Du bist wirklich sehr begabt . Ich sagte Danke , und in dem Moment sagte Mum Was für eine Stimme . Sie hatte mit Jas gesprochen, nicht mit mir. Ich lief rot an.
    Stille.
    Ich wollte Mum von meinem Siegtor und den Streichen an Halloween und Dads verkohltem Brathähnchen erzählen und von Mrs. Farmer und den Pimmeln in Daniels Stall. Und ich wollte ihr erzählen, dass ich eine Freundin hatte, die außer meiner Schwester das beste Mädchen auf diesem Planeten war. Wenn Mum mich etwas gefragt oder mich auch nur angeschaut hätte, dann hätte ich losgeredet. Aber sie starrte nur auf den Boden.
    Lasst uns rausgehen , sagte Dad. Und als wir nach draußen gingen, machte er etwas, das er noch nie zuvor getan hatte. Er legte mir die Hand auf die Schulter und drückte sie ein bisschen.
    Der Gehweg war vereist, und die Schneeflocken sahen orange aus im Licht der Straßenlaternen. Jemand hupte, und Leo fuhr vorbei. Seine grünen Haare leuchteten im dunklen Auto. Wer ist das , fragte Mum, aber Jas zuckte nur die Achseln. Das war nicht so einfach zu erklären. Mum hatte zu viel versäumt. Sie konnte es natürlich wieder aufholen, wenn sie wollte. Ich würde ihr dabei helfen. Wir hatten alle Zeit der Welt.
    Dad zog die Autoschlüssel aus der Tasche und rasselte damit. Bist du so weit , fragte er Jas. Sie nickte. Jamie , sagte er, und ich grinste. Jetzt kam der Teil, auf den ich mich besonders freute.
    Ich dachte gerade, dass Mum jetzt eigentlich Nigel anrufen müsste, um ihm zu sagen, dass er ein Idiot sei und sie ihn verlassen würde, als sie sagte Wir sehen uns dann bald . Ich dachte, sie meinte, in unserem Haus, weil sie ja mit ihrem eigenen Wagen fahren musste. Deshalb sagte ich Ich fahr mit dir . Jas zog den Kopf ein, wie ich damals, als der Hund auf die Straße rauslief. Dad wurde blass und schloss die Augen. Mum rieb sich die Nase. Ich verstand nicht, warum sich alle so komisch benahmen. Ich zeig dir den Weg , sagte ich, und sie fragte Zurück nach London , und da wurde mir alles klar.
    War nur ein Scherz , sagte ich und zwang mich zu lachen, aber jeder Ton brannte im Hals. Mum nahm Handschuhe aus ihrer Tasche und zog sie über ihre rosa Hände. Also tschüss dann , sagte sie. War schön, euch zu sehen. Ihr kommt ja prima zurecht . Dad schnaubte, und Mum zuckte leicht zusammen. Ein Bus fuhr vorbei, und der Schneematsch spritzte an Jas’ nackte Beine.
    Hier , sagte Mum und holte ein Papiertaschentuch aus ihrer Tasche. Sie reichte es Jas, die es mit leerem Blick anschaute. Trockne dir die Beine ab , sagte Mum, plötzlich mit ganz normaler Stimme. Sie klang ungeduldig und ein bisschen pampig. Der wunderbarste Klang der Welt. Jas wischte sich die Waden ab. Du siehst so hübsch aus , sagte Mum. Ich drückte die Brust raus, damit Mum mein T-Shirt nicht übersehen konnte. Sie warf nicht mal einen Blick drauf. Genau wie deine Schwester .
    Lasst uns fahren , sagte Dad schnell. Der Schnee ist nass . Mum nickte. Bis bald , log sie, berührte Jas an der Schulter und tätschelte mir den Kopf. Habt ihr toll gemacht .
    Sie ging weg. Ihre schwarzen Stiefel tappten durch den Matsch, der grüne Mantel wehte hinter ihr her. Diese Sachen kannte ich nicht. Sie waren neu,

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