Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)
Sind die Schuhe zu klein , fragte Jas, und ich antwortete Nein, sie sind prima .
Auf dem Rückweg war ich ziemlich aufgeregt. Jas erzählte mir von den ganzen Piercings, die sie noch haben wollte, aber ich konnte immer nur an die Fußmatte im Flur denken. Ich stellte mir vor, dass ein Paket draufstand. Ein großes Paket, in glänzendes Geschenkpapier verpackt, mit einer Fußballkarte obendrauf. Ohne Nigels Namen, aber mit vielen Küssen von Mum.
Als ich die Haustür aufmachte, merkte ich sofort, dass was nicht stimmte. Sie ging zu leicht auf. Zuerst wagte ich es nicht mal, nach unten zu gucken. Ich dachte daran, was Oma immer sagt. Dass in kleinen Päckchen die wertvollsten Sachen stecken. Ich versuchte, mir all die kleinen Sachen vorzustellen, die auch toll wären, obwohl sie nicht die Tür blockierten. Aber irgendwie war das einzig Kleine, woran ich denken konnte, Rogers tote Maus, und davon wurde mir übel, also hörte ich mit Denken auf.
Ich schaute auf die Fußmatte. Da lag ein Brief. Mit der schnörkligen Handschrift von Oma. Obwohl ich schon merkte, dass nichts darunter lag, schob ich den Brief mit der Fußspitze zur Seite. Vielleicht hatte Mum ja irgendwas wirklich Winziges wie einen Button von Manchester United oder einen Radiergummi oder so was geschickt.
Ich merkte, dass Jas mich beobachtete, und schaute zu ihr hoch. Als ich mal erlebt hatte, wie ein Hund auf eine Straße mit viel Verkehr rauslief, hatte ich erschrocken den Kopf eingezogen und die Augen aufgerissen. So sah Jas jetzt aus, als ich auf die Matte schaute. Ich bückte mich rasch, riss den Umschlag von Oma auf und lachte übertrieben laut, als zwanzig Pfund auf den Boden flatterten. Überleg doch mal, was du davon für coole Sachen kaufen kannst , sagte Jas, und ich war froh, dass sie mich nichts fragte, weil ich nämlich einen riesengroßen Kloß im Hals hatte.
Aus dem Wohnzimmer hörten wir, wie eine Dose aufgemacht wurde, und Jas hustete, um zu vertuschen, dass Dad an meinem besonderen Tag Bier trank. Komm, lass uns Kuchen essen , sagte sie und zog mich in die Küche. Kerzen waren keine da, dafür steckte Jas ein paar von ihren Räucherstäbchen in die Torte. Ich kniff die Augen fest zu und wünschte mir, dass Mums Geschenk bald ankommen würde. Ich wünschte mir das größte Paket der Welt, so schwer, dass der Postbote davon einen Hexenschuss kriegen würde. Dann machte ich die Augen wieder auf. Jas lächelte mich an. Ich kam mir ein bisschen egoistisch vor und wünschte mir rasch noch, dass Jas ihr Nabelpiercing kriegen sollte, bevor ich tief Luft holte. Die Stäbchen gingen nicht aus, überall war nur Rauch, und deshalb werden meine Wünsche wohl auch nicht erfüllt werden.
Ich schnitt den Kuchen ganz vorsichtig an, um ihn nicht kaputt zu machen. Er schmeckte wie salziger Pfannkuchen. Echt lecker , sagte ich, und Jas lachte. Sie wusste, dass ich flunkerte. Sie rief Dad, willst du auch Kuchen , aber niemand antwortete. Dann fragte sie Fühlst du dich jetzt älter , und ich sagte Nee, weil sich nichts verändert hat. Auch wenn mein Alter jetzt zweistellig ist, fühle ich mich wie mit neun. Ich bin genau so wie in London. Jas auch. Und Dad. Er war nicht auf der Baustelle, obwohl der Mann ihm in zwei Wochen fünf Nachrichten auf Band gesprochen hat.
Jas knabberte an einem winzigen Stück Kuchen und fragte, ob ich mein Geschenk haben wolle. Als wir die Tür zu ihrem Zimmer aufmachten, klingelte das Windspiel. Jas sagte Ich hab’s nicht eingepackt und gab mir eine weiße Plastiktüte. Ich holte ein Zeichenbuch und echt schöne Stifte raus, die tollsten, die ich je gesehen habe. Die erste Zeichnung mach ich von dir , sagte ich. Jas streckte die Zunge raus und schielte. Nur wenn du mich so zeichnest .
Nach dem Mittagessen schauten wir Spider-Man . Das ist der beste Film aller Zeiten. Wir hatten die Vorhänge zugezogen, obwohl es erst Nachmittag war, und kuschelten uns in Jas’ Bettdecke. Roger rollte sich auf meinem Schoß ein. Er ist eigentlich mein Kater. Ich versorge ihn. Früher hat er Rose gehört. Sie hat ewig gebettelt, dass sie ein Haustier haben wollte, und als sie sieben war, hat Mum es erlaubt. Sie hat das Kätzchen in einen Karton gesetzt und eine Schleife obendrauf geklebt, und als Rose ihr Geschenk auspackte, schrie sie vor Freude. Diese Geschichte hat Mum mir bestimmt hundertmal erzählt. Ich weiß nicht, ob sie vergessen hatte, dass ich sie schon kenne, oder ob sie sie einfach noch mal erzählen wollte. Aber sie hat dabei
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