Meine Schwester und andere Katastrophen
aufgebauschtem Schwanz. Oder - was ich lieber nicht ernsthaft in Erwägung ziehen wollte - er mochte mich immer noch.
Ich sagte: »Mir gefällt deine Theorie, dass Babys ›rausploppen‹.«
»Manche Babys tun das wirklich. Ich war in zwei Stunden fix und fertig!« Er lächelte. »Und du?«
»Ich!« Ich merkte, wie ich ins Stottern kam. »Ich … ich weiß nicht. Ich … ich bin adoptiert.« Ich wurde rot. »Ich sollte … mich wirklich mal erkundigen.«
Barnaby machte den Mund auf.
Ich kam ihm zuvor: »Ich will nicht darüber reden.«
»Wie bereitest du dich auf die Geburt vor?«
»Du hast einen Schokoladeschnurrbart.« Am liebsten hätte ich ihn abgeschleckt.
»Tust du irgendwas?« Er leckte ihn selbst ab, und ich wäre fast vom Stuhl gefallen.
»Also, Barnaby«, ich lehnte mich vor, »wenn du es wirklich wissen willst, manche Frauen üben, indem sie mit beiden Händen den Eingang zum Unterleib dehnen.«
»Da gibt es doch bestimmt bessere Methoden!«
Ich wartete auf einen zweideutigen Kommentar, dass George mir bestimmt gern dabei behilflich wäre, aber er sagte nichts.
»Nicht bei mir.« Es war als Witz gemeint, aber ich klang ernster als beabsichtigt.
»Wie läuft es mit George?«
»Ich habe ihm erklärt, dass ich die Scheidung will.« Ich lauerte auf eine Reaktion in Barnabys Miene, aber sein Gesicht blieb unbewegt. »Das tut mir leid«, sagte er dann. »Wie hat er es aufgenommen?«
»Nicht besonders gut.«
»Du bist auf Ärger gefasst.«
Ich merkte, wie mir der Atem stockte. »Eigentlich nicht.«
»Was ist mit dem Baby?«
»Was soll damit sein?«
»Wollt ihr ein gemeinsames Sorgerecht? Will er es?«
»Barnaby, ich will nicht darüber sprechen. Ich bin überzeugt, dass George mit allem einverstanden sein wird, was ich vorschlage.«
»Cassie, du bist seit sieben Jahren Anwältin. Hast du je einen Fall gehabt, bei dem die eine Partei mit allem einverstanden ist, was die andere Partei vorschlägt?«
»Wir werden das schon hinbekommen. Ich habe gesagt, dass ich nicht darüber reden will.«
»Hey!«, sagte er. »Du.« Und legte seine Fingerspitzen auf meinen Arm.
Lizbet
KAPITEL 32
Mein Leben war wie ein Apfelbutzen, den eine Ratte abgenagt hatte. Kein Mann, kein Job, kein Heim, kein Baby - das Leben war ohne jedes Fleisch, nur Knabberspuren und ein paar Kerne. Es gefiel mir ganz und gar nicht. Ich reagiere nicht gut auf widrige Umstände.
»Du bist ein ernsthafter Mensch«, hatte mir meine Lehrerin einst offenbart (weil sie mich zu einer Karriere als Sozialarbeiterin überreden wollte). Genau diesen Eindruck erweckte ich, denn ich war ein zurückhaltender Mensch, der seine Witze lieber druckreif erzählt, als sie auf gut Glück in ein Gespräch einzubringen. Dabei traf dieser Eindruck gar nicht zu. Ich war überhaupt nicht ernsthaft. Ich war ein zutiefst oberflächlicher Mensch. Ich wollte, dass jeden Tag Weihnachten war - tut mir leid, Mrs Schuller. Ich liebte Tim, weil er mich zum Lachen brachte. Und wer lacht, blendet für einen kurzen Moment die ganze Scheiße, das ganze Elend - jede einzelne der Millionen von einzigartigen Tragödien in der Welt, die man betrauern und bedauern sollte - aus.
In meinem Kopf war es eine ganze Weile nicht mehr Weihnachten gewesen. Im Gegenteil, jeder Tag war der siebenundzwanzigste Dezember, der schlimmste Tag im Kalender, weil Weihnachten so weit weg ist wie sonst nie im Jahr. Tim und ich arbeiteten wirklich schwer daran, keine ernsthaften Menschen zu sein, und hatten deshalb die Regel aufgestellt,
dass bei jeder Gelegenheit genau wie nach Weihnachten ein zweiter Feiertag angehängt werden musste. Am Tag nach meinem Geburtstag, am Tag nach Tims Geburtstag, am Tag nach Sphinx’ Geburtstag, am Tag nach dem Valentinstag - jeder Feiertag hatte seinen zweiten Feiertag, an dem wir uns freinahmen und etwas Besonderes anstellten. Ach ja, und natürlich feierten wir in unsere Geburtstage hinein.
Doch dann hatte ich - hatten wir - eine Tragödie durchgemacht und darüber jeden Sinn für Spaß verloren. Ich war gezwungen gewesen, genau das auszuhalten, wovor ich mich am meisten fürchtete: unglücklich zu sein. Ich war ein zutiefst ernstes, unlustiges Wesen geworden, wie ich es nie hatte sein wollen. All der Ärger, den ich verdrängt hatte, weil das Leben zu kurz war, um verbittert zu sein - das war es wirklich, im Ernst -, holte mich wieder ein. Es war eine ganze aufgeregte Schar von Gefühlen, und gemeinsam hatten wir so ziemlich jeden Menschen, den ich
Weitere Kostenlose Bücher