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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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Tiefpunkte haben. Aber wo alle anderen kleine, harmlose Täler durchschreiten mussten, war unser Eheleben eine einzige endlose Ebene der Verzweiflung.
    Selbst unsere Eltern lachten miteinander. Selbst wenn für sie der Schlüssel zur Harmonie darin bestand, zwei fast unabhängige Leben zu führen. Daddy war nicht ganz der Gentleman, für den er sich hielt, Mummy war oberflächlich und immer noch in dem Leben gefangen, das sie hätte führen können. Aber gleichzeitig fand er sie amüsant, und sie fand ihn verlässlich. Das hört sich nicht nach der perfekten Lovestory an, nicht mal nach einem tollen Kompliment, und es stimmt. Mummy hatte sich darauf verlegt, jeden Mangel
konsequent zu ignorieren, und eine Art Berliner Mauer in ihrem Kopf errichtet, und dank dieses Schutzschildes kam sie ganz gut zurecht. Und Daddy - als alter Praktiker - hatte sich einfach nie dem Luxus hingegeben, über seine eigene Trauer nachzugrübeln.
    Einmal war ich mit ihnen im Supermarkt. Ohne dass sie auch nur ein Wort miteinander gewechselt hätten, holte Daddy den Einkaufswagen, während Mummy durch die Sperre marschierte und direkt auf das Obst zusteuerte. Daddy hatte sie nicht links abbiegen sehen, aber er folgte ihr ohne zu zögern. Ich beobachtete den gesamten Prozess - angefangen damit, dass Daddy das Parkticket zahlte, bis zu dem Punkt, an dem er die Tüten in den Kofferraum stellte, und angefangen damit, dass Mummy die Galia-Melone auswählte, bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie die Quittung in ihr Portemonnaie steckte. Sie berieten sich kein einziges Mal. Es war wie ein lange geprobtes Ballett, und es hätte mich nicht gewundert, wenn der Geschäftsführer aus seiner Kabine hinter der Kasse gekommen wäre und Mummy einen Blumenstrauß überreicht hätte.
    Die beiden spendeten sich gegenseitig Trost, während George und ich uns auf die Nerven gingen. Und inzwischen machte ihn die Verbitterung über seinen Beruf zum Monster. Er war unleidlich - das war der Grundzug seiner Persönlichkeit. Das führte dazu, dass mich selbst jene Macken störten, die ich bei einem netteren Menschen charmant gefunden hätte. Zum Beispiel konnte George nie genug Brillo-Pads besitzen - kleine, mit rosa Seife überzogene Stahlwollekissen, die in den fünfziger Jahren jede Hausfrau besaß. George behandelte sie fast ehrfürchtig und riss sie achtsam in zwei Hälften, um nicht ein ganzes Pad für eine einzige Pfanne zu verschwenden. Er weigerte sich, auch nur ein Pad wegzuwerfen,
sondern verstaute sie unter der Spüle, wo sie vor sich hin rosteten, bis ich sie wegwarf.
    George konnte unmöglich gewinnen. Er machte mich auf meine Fehler aufmerksam - seine einzige positive Eigenschaft. Seine Kommentare über Lizbet machten mich rasend, vor allem, weil ich mich schuldig bekennen musste, ähnliche Gedanken gehabt zu haben. Aber sobald er Bemerkungen machte, die ich vielleicht gemacht hätte, begann ich Lizbet instinktiv zu verteidigen. Ich hätte alles Mögliche behauptet, um die Genugtuung eines richtigen Streits mit George zu haben, aber stattdessen ging mir auf, dass meine Erklärungen für Lizbets Verhalten gar nicht so abwegig waren.
     
    »Was? Sei nicht albern«, sagte George. »Das sind nur die Hormone. Wir bekommen ein Kind. «
    Ich hätte behaupten können, dass ich als Anwältin tausend Löcher in seiner Argumentation entdeckte, aber das hätte jeder Affe tun können. (»Sei nicht albern « - Herabwürdigung meiner Urteilskraft; »Das sind nur die Hormone« - die universelle Ausrede aller Männer, um weibliche Emotionen abzuwerten; » Wir bekommen ein Kind« - au contraire; ich würde es bekommen, er würde nur im Krankenhaus herumhängen. Wir hatten eine einzige Stunde im Geburtsvorbereitungskurs verbracht. Die Hebamme hatte betont, wie wichtig es sei, dass der Partner die Frau während der Geburt unterstützt. »Und«, hatte George gefragt, »wie sollen wir sie ablenken? Indem wir übers Wetter plaudern?«)
    Es gab nichts, was uns verband. Und George - der meinem Eindruck nach immer einen Bogen um jeden Menschen unter sechzig Zentimetern Körpergröße gemacht hatte - glaubte nur an die Pampersversion eines Babys: quietschsauber, großer, gepolsterter Popo, Grübchenwangen, kein Ärger.

    Ich zweifelte nicht daran, dass George vor Schreck umfallen würde und absolut keine Hilfe mehr wäre, wenn Junior endlich eintraf, laut und zornig, nachtaktiv und aus sämtlichen Körperöffnungen leckend und riechend. Im allerbesten Fall wäre es so, als hätte ich

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