Meine Schwester und andere Katastrophen
liebte, aus meinem Leben verjagt.
Ich musste an meinen Patensohn Tomas denken - ich hatte ihn so lang nicht mehr gesehen. Tabitha erzählte, dass er, wenn er wirklich wütend war, zu einer dreifachen Verneinung fähig war - einer dreifachen! »Ich will nicht nichts - gar nie nicht nichts!«
Genau so fühlte ich mich auch. Gar nie nicht nichts!
Allmählich begann ich wieder etwas zu empfinden, aber zugleich schreckte ich davor zurück, den Schaden zu begutachten, den ich angerichtet hatte. Die Vorstellung, dass Tim die gemeinsame Vergangenheit mit mir begraben haben könnte und neu und frisch mit einer anderen Frau anfing, war mir unerträglich. Ich fürchtete sie, weil ich sehen konnte, wie verlockend sie wirken musste. Die gnädige Schlichtheit des Sex - wenn Sex nur Lust und Vergnügen bedeutete und nicht mit einem komplexen Dickicht von Emotionen
überwuchert war, die erst wie ein jahrhundertealtes Dornengestrüpp durchdrungen werden musste, bevor man zusammenkommen konnte. Natürlich wünschte ich mir, dass Tim einen Neuanfang versuchte - aber mit mir. Ich wollte, dass ein Kuss ein Kuss war, keine Entschuldigung und auch keine Vergebung. War das möglich? Ich merkte, dass ich gerade noch die Kraft aufbrachte, mir diese Fragen zu stellen, aber nicht mehr die Kraft, sie zu beantworten.
Ich hatte mich noch nie ins Leben meiner Mitmenschen gedrängt. Jetzt allerdings merkte ich, wie reizvoll das sein konnte. Solange du dich mit den Problemen anderer Menschen herumschlägst, hast du keine Zeit, über deinen eigenen zu brüten. Ich hatte George angerufen, meinen Irrtum bezüglich Cassie und Tim gestanden und mich von ihm anbrüllen lassen. Das störte mich nicht weiter. Es linderte die Anspannung. Cassie hatte mich mit ihrer superverständnisvollen Art und ihrer exzessiven Freundlichkeit in eine schwierige Position gebracht. Nachdem sie ihre Anschuldigungen unausgesprochen gelassen hatte, waren sie auch nicht aus der Welt geräumt. Ich konnte unseren Streit nicht einfach hinter mir lassen und weitermachen. Ich brauchte jemanden, der mich anbrüllte. Nur so würde ich meinen Zorn und mein schlechtes Gewissen herausspülen können.
Außerdem dachte ich immer noch über unsere Eltern nach.
Ich akzeptierte Cassies Begründung dafür, dass sie mir nichts von ihrer Adoption erzählt hatte. Aber je länger ich darüber nachdachte, desto stärker wuchs in mir die Überzeugung, dass Vivica und Geoffrey einen Fehler gemacht hatten, als sie ihr die Wahl gelassen hatten. Sie hätten es mir erzählen sollen - und zwar zum gleichen Zeitpunkt wie ihr . Dass sie es nicht getan hatten, war ein weiteres Beispiel dafür, wie ungleich sie uns behandelt hatten. Es war kompliziert. Wütend
war ich nicht mehr auf unsere Eltern, aber ich war auch nicht stolz auf sie. Was ich so gern gewesen wäre. Ich wollte, dass mir Vivica endlich bis in alle Einzelheiten erklärte, warum sie als Mutter so versagt hatte, damit ich die Vergangenheit neu schreiben und mir vorstellen konnte, dass ich als Kind geliebt worden war. Damit es in meinem Kopf nicht sofort rebellisch zu schnattern begann, wenn wir uns zur Begrüßung küssten.
Ich konnte nicht abstreiten, dass ich als Erwachsene geliebt wurde. Das erkannte ich jetzt. Jetzt, wo ich größer war und bessere Tischmanieren hatte, wirkten mein Vater und meine Mutter deutlich entspannter als früher. Ganz eindeutig waren sie nicht die Eltern, von denen ein Kind träumt, aber sie waren auch nicht ganz so nutzlos, wie ich geglaubt hatte.
Im Gegenteil, es machte mich stolz, dass sie tatsächlich anmarschiert gekommen waren, um mir von der Adoption zu erzählen. Natürlich hätten sie mich in einer idealen Welt früher aufgeklärt, aber was bedeuten unter Freunden schon ein paar Jahrzehnte? Sie waren zu mir gekommen, und dass sie sich physisch auf mich zubewegt hatten, ohne dass ich mich vom Fleck gerührt hatte - das war ein wichtiges Zeichen. Es ließ auf eine leichte Verschiebung im Kräftegleichgewicht unserer Beziehung schließen, es ließ erkennen, dass ich ein wichtiges und anerkanntes Familienmitglied war.
Außerdem bedeutete es mir viel, dass Cassie unser Schiff nicht aufgegeben hatte, um ins nächstbeste Rettungsboot zu hüpfen und zu ihrer genetischen Familie zu rudern. Selbstverständlich wollte ich, dass Cassie sie kennen lernte, das wollte ich wirklich. Ich hatte das Gefühl, dass sie das in gewisser Hinsicht vervollständigen würde. Aber ein kleiner, egoistischer Teil von mir war froh
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