Meine Schwester und andere Katastrophen
mit ihr gesprochen hatte, kam das nie wieder vor. Wir wollten nicht, dass ihr beide, du und Cassie, euch komisch vorkommt oder voneinander entfernt oder euch ungleich behandelt fühlt. Ihr wart Schwestern, unsere Mädchen, Punktum. Das haben alle verstanden.«
Es war, als würde sie in einem Paralleluniversum leben und wir hätten völlig verschiedene Realitäten erlebt.
Ich habe mich benachteiligt gefühlt. Ich habe mich benachteiligt gefühlt. Ich versuchte, die Worte herauszupressen, aber sie wollten partout nicht über meine Lippen kommen.
Vivica atmete tief ein, und ich biss mir auf die Lippe. O Gott. Jetzt würde sie gestehen …
»Lizbet, mein Schatz, ach, ich weiß, ich habe dich nicht so gut behandelt, wie ich Cassie behandelt habe, aber in Wahrheit habe ich das nur getan, weil sie so schwierig war und du so ein gutes, braves, kluges Kind warst, du warst wie ein schöner, schnurrender, erstklassiger … Wagen, nie hat irgendwas gerattert oder gescheppert, während deine Schwester eher wie eine reinrassige Katze war, die ständig Aufmerksamkeit braucht und Fürsorge, und wir hatten immer Angst, dass sie uns die Schuld an allen Problemen geben würde, die sie später möglicherweise bekommen würde, aber großes Pfadfinderehrenwort, wir lieben dich, unser Fleisch und Blut, ganz genauso wie sie! Wir wollten nur nicht, dass man uns nachsagt, wir hätten dich bevorzugt, und nachdem heutzutage so viel über adoptierte Kinder geforscht wird und sie offenbar nach dem Trauma, ihrer Mutter entrissen und unter einem Haufen von Fremden geparkt zu werden, ungeheuer gefährdet sind, verrückt zu werden, war es im Nachhinein wohl richtig, dass wir uns besonders innig um Cassie kümmerten, da sie am ehesten ein Fall für die Klapse hätte werden können, aber natürlich sehen wir sehr wohl, dass wir dabei unser kostbarstes Geschenk vernachlässigt haben - dich -, alles immer nur mit den besten Absichten, natürlich, aber uns tut das alles so wahnsinnig leid, wir liegen deswegen jede Nacht weinend wach, ich gehe zur Psychoanalyse und dein Vater auch, dreimal die Woche, wir investieren jeden Monat drei Riesen nur für die Therapie, wir haben eine Hypothek auf das Haus aufgenommen, sonst könnten wir das alles nicht bezahlen, aber wir haben das Gefühl, dass es den Preis wert ist, um deinen Schmerz zu verstehen, um uns einzufühlen und um uns mit dir zu versöhnen …«
»Und was hattest du heute zum Mittagessen, Schatz? Bei Marks & Spencer gibt es die allerköstlichsten Quiches - Waldpilze, Lauch oder Ziegenkäse. Hast du sie schon probiert? Das Gebäck ist einfach göttlich. Ich bin süchtig nach den Waldpilzen, zum Leidwesen meiner Taille.«
Hä? Mittagessen? Wo blieb das Geständnis? Wann würde sie endlich ihre Gefühle offenlegen? Ich hatte ein Anrecht auf lautes Wehklagen und Asche auf ihrem Haupt!
»Ich habe noch nicht gegessen«, sagte ich. Vor Panik wurde ich immer kribbliger. Das Gespräch drohte mir zu entgleiten. Wir mussten zum Thema zurückkehren. »Du hast gerade gesagt«, beharrte ich, »ihr hättet nicht gewollt, dass Cassie und ich uns komisch vorkommen oder uns voneinander entfernen oder uns ungleich behandelt fühlen.«
»Genau«, bestätigte Vivica. »Schatz, du musst unbedingt etwas essen. Ich sage es nicht gern, aber Denise hat recht. Du bist wirklich zu dünn. Natürlich möchte niemand, dass du fett aussiehst, aber hager ist auch nicht schön. Du kannst nicht nur von Schokolade leben. Soll ich dir bei Marks & Spencer ein paar von diesen Quiches holen? Wir können ein bisschen Gemüse drüberstreuen, etwas Avocado klein hacken, schon ist die Sache erledigt! Wirklich schade, dass Tim nicht da ist, er macht eine so nette Senfvinaigrette.«
»Vivica.« Ich schloss die Augen. Wie sollte ich es sagen? Wie sollte ich die große Konfrontation einleiten?
»Ich durchforste gerade unseren Kühlschrank. Da haben wir es schon: jungen Blattspinat. Folsäure. Ah ja, sehr gut. Genau das, was wir brauchen.«
»Vivica«, wiederholte ich.
»Ja?«
Ich holte Luft.
»Schatz, ich will dich natürlich nicht bei der Arbeit stören.
Hast du schon was Neues gefunden? Irgendwelche Vorstellungsgespräche in Aussicht?«
Plötzlich begriff ich und lächelte in mich hinein. Und sagte zu meiner Mutter: »Du störst überhaupt nicht. Das hört sich wirklich nett an. Komm vorbei - dann können wir zusammen mittagessen.«
KAPITEL 33
Um zwei zog Vivica ab zur Maniküre - »Im Club haben sie ein bezauberndes neues
Weitere Kostenlose Bücher