Meine Schwester und andere Katastrophen
kleinen Mann hinter einem riesigen Strauß tiefroter Rosen. Ich wusste sofort, dass sie von meinem Vater stammten, denn ich erkannte sie als Grand-Prix-Rosen.
Er schickte meiner Mutter ausschließlich Grand-Prix-Rosen, denn, wie er sagte: »Andere Rosen sollte man einer Frau nicht schicken.« Ich nehme an, man kann unmöglich dreißig Jahre lang für ein Nobelhotel arbeiten, ohne etwas romantische (oder snobistische) Patina anzusetzen.
»In Liebe, Dad« stand auf der Grußkarte in einer Handschrift, die nicht seine war. Ich strich über die dunklen, samtigen Blütenblätter und atmete ihren schweren Duft ein. Es war passend, dass er mir rote Rosen schickte - die Farbe von Sex und Tod, die Farbe des Blutes, das drei Tage später aus meinem Unterleib strömte, als ich mein kleines Mädchen verlor.
Cassie
KAPITEL 7
Als Mummy und Daddy an meinem dreizehnten Geburtstag in mein Zimmer kamen, rechnete ich fest damit, dass sie mir die Tickets für das A-ha-Konzert überreichen würden. Ich übergab ihnen immer eine getippte Liste akzeptabler Geschenke - im Gegensatz zu Lizbet, die erwartete, dass unsere Eltern ihre Wünsche erahnten, obwohl sie zum Beweis, dass dem nicht so war, ein Zimmer voller Schrott hatte. Zu ihrem dreizehnten Geburtstag hatte ihr Mummy eine Kassette gekauft: Noel Edmond’s Telefonstreiche , und dazu einen kleinen Porzellancollie. Daddy hatte ihr ein Paar Jeans von Marks & Spencer und dazu einen Schlüsselring mit einer winzigen Gabel als Anhänger gekauft.
Stattdessen erklärten sie mir, dass ich adoptiert war.
Ich brauchte ein, zwei Sekunden, um das zu verdauen.
Ich fragte: » Wir sind adoptiert?«
»Lizbet nicht«, sagten sie. »Nur du, Cassie.« Ich kniff die Lippen zusammen. Und dann überreichten sie mir die A-ha-Tickets.
»Sechs Monate nach Lizbets Geburt kam es zu … Komplikationen«, sagte Mummy. Plötzlich sah sie aus, als könnte sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. »Es war … grauenvoll.«
Ich kniff die Augen zusammen. Ich kannte die familiären Legenden, dass Mummy nach Lizbet auf einem Gummiring sitzen musste. Aber schon jetzt hatten sich meine Gedanken
von unserer Doppelhaushälfte mit ihren Isolierglasfenstern und dem Natursteinpflaster auf der Terrasse losgelöst und flogen in ein weit, weit entferntes, sonnenüberflutetes Land mit gelben Stränden und blauem Himmel und wasserballgroßen reifen Pfirsichen (Torremolinos?), wo meine junge, schöne, unwiderstehlich attraktive Mutter den Männern den Kopf verdrehte, fast wie Ursula Andress in Dr. No , und Mick Jagger war mein Vater.
»Lizbet … Monsterbaby … aufgeschwollen … Zehen bis zur Stirn … Schwabbelbauch … Massageband … straffen … problemlos … Standgerät … breites Gummiband … einstöpseln … massiert dich in Form … so brutal … musste Wunder wirken … zwei Stunden … Vogue gelesen … Doppelausgabe … unerträgliche Schmerzen … Blut … beige Schurwolle … hatten den Teppich erst seit vier Wochen … dein Vater … Notarzt … Notoperation … nettes Backsteingebäude aus der Jahrhundertwende gleich bei der Harley Street … Eileiterschwangerschaft … unbemerkt … gesamte Unterleib … rausgenommen … praktisch hohl … schrecklich.«
»Was?«, fragte ich.
»Es war schrecklich «, sagte Mummy. Sie klang, als wollte sie sich rechtfertigen. Daddy tätschelte ihr Knie und sah mich mit Grabesmiene an. Sie saßen nebeneinander auf meinem weißen Bettüberwurf wie zwei ungezogene Kinder. Ich saß steif hinter meiner weißen Frisierkommode und stellte meine Lippenstifte in Formation wie kleine Zinnsoldaten. Meine Gedanken wurden von der Nachricht zu grauer Schwere aufgetrieben, und ich hatte das Gefühl, dass mein Kopf, falls ich ihn auch nur einen Zentimeter bewegte, seine Form verlieren könnte wie ein Halloween-Kürbis, der zu einem Flaschenkürbis mutiert.
»Wir fanden, dass es an der Zeit war, dir das zu sagen«, meinte Daddy. Er holte Luft. »Jetzt, wo du eine Frau bist.«
Ich verdrehte die Augen. Unsere Eltern waren ziemlich vergrätzt, weil Nina Sara, die fette Tochter von Mummys bester Freundin und Erzrivalin Evelyn Toberman, neulich ihre Bat-Mizwa gefeiert hatte - bei der sie in einem schrecklichen lila Kostüm in der Synagoge aufgestanden war und mit Moskitostimme hebräische Gebete gesungen hatte, um ihre geistige Frauwerdung zu demonstrieren -, während ich mich verweigert hatte. Ehrlich gesagt hätten unsere Eltern kaum den Unterschied zwischen einer Bat-Mizwa und einem
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