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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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in dem er Windpocken bekam (drei Wochen nach seinem ersten Geburtstag, wobei ihm zwei Narben zurückblieben, eine am rechten Knöchel, die andere links über seinem Bauchnabel), sein Lieblingsspielzeug (der Soo-Plüschpanda aus der Sooty Show, dem er, nachdem die Nase abgefallen war, eine neue, grüne, angenäht hatte), sein erstes Wort (an eine gelbe Rose im Garten gerichtet - »Bume«), die Bemerkung der Hebamme, als er zum Vorschein kam (»Was für ein hübsches rundes Köpfchen!«).
    Mr Hershlag mochte nicht über das Terminator-Gedächtnis verfügen, mit dem seine Frau glänzte - immerhin lagen die Ereignisse dreißig Jahre zurück -, dafür war er ein Experte in allen noch so kleinen Belangen von Georges Alltag. George arbeitete als Sendeassistent (ein weiteres Wort für »Sekretärin«) in der Hörspielabteilung von BBC Radio Four. Wenn man Mr Hershlag reden hörte, hätte man meinen können, George sei der Intendant des Senders. Außerdem hätte man meinen können, dass Mr Hershlag am Schreibtisch neben Georges arbeitete.
    In Wahrheit war Mr Hershlag Schneider. Ich konnte Mr Hershlag kein einziges Mal in meinem auf alt getrimmten Rohseide-Abendmantel von Donna Karan unter die Augen
treten, ohne dass er ausrief: »Was trägst du da für einen Schmutter? Komm, ich mache dir einen anständigen Mantel!« Worauf George jedes Mal rief: »Dad! Sie will keinen Mantel!«, und Mrs Hershlag echote: »Lass sie in Frieden, sie will keinen Mantel!« So ging das Gespräch unweigerlich eine Weile weiter, bis Mr Hershlag traurig sein Maßband in der Jackentasche versenkte und aus dem Zimmer ging. Dreißig Sekunden später kam er wieder hereingesprungen und verkündete: »Deine Jacke taugt nichts - ich mache dir eine neue!«
    Wenn er nicht mit dickem Futter drohte, diskutierte er mit George über Politik. Dabei konnte ihm kein Detail zu nebensächlich sein.
    » Ich bin also derjenige, der auf der Straße stehen muss, um Sir Ian die Taxitür zu öffnen …«
    »Was hatte er an, obenrum, meine ich?«
    »Eine Bomberjacke.«
    »Vertraut er seinen Sicherheitsleuten nicht? … Konntest du das Futter fühlen?«
    Mr Hershlag wusste detailliert über die Essgewohnheiten von Georges Kollegen Bescheid. (»Josie hat ein Twix gegessen? Seit wann isst sie Twix? Sonst isst sie immer einen Galaxy-Riegel, sie isst jeden Tag einen Galaxy-Riegel, was soll da plötzlich ein Twix?«)
    Er wusste Bescheid über jede Stufe im kreativen Prozess, angefangen von den Autorinnen, den faulen, nichtsnutzigen freien Autorinnen - »Das ist jetzt der vierte, fünfte Entwurf! Was ist mit ihr? Warum hört sie nicht auf dich? Du solltest dieses Stück schreiben, ganz recht, du könntest ein hervorragendes Stück schreiben, du hast wirklich Phantasie, ach, Josie glaubt also nicht, dass du schreiben kannst, was weiß sie schon? Du gibst ihr das Stück, du sagst, es ist von jemand
anderem, sie sagt, dass es ihr gefällt, du überraschst sie, es ist von mir, siehst du, peng!«
    - über die Vorlieben der Zuhörer - »Er hat einen Mord vorgeschlagen, und das für das Hörspiel am Nachmittag? Es wurde auch geflucht? Ist er völlig meschugge geworden? Wir reden hier von Radio Four! Er hat wirklich keine Ahnung!«
    - und den wankelmütigen Charakter der Schauspieler - »Er hat einen Tag vor dem Aufnahmetermin abgesagt? Was für eine Chuzpe! Mir kannst du nichts erzählen! Er hat ein Filmangebot! Diese Schauspieler, erst wollen sie um jeden Preis zum Funk, ins Radio, sie können es gar nicht erwarten, fürs Radio zu sprechen, sie würden über Leichen gehen, um ins Radio zu kommen, aber kaum bekommen sie ein Filmangebot oder eines vom Fernsehen … Radio? Wen interessiert schon das Radio? Sie verschwinden, und du siehst sie nie wieder!«
    - bis zu den internen Tricksereien - »Es war zu lang? Dann schneide was raus! Es merkt doch kein Mensch, ob zwei Minuten fehlen!«
    Mrs Hershlag konnte außerdem bis zu zwei Tage im Voraus feststellen, ob George krank werden würde. »Er ist ein kleines bisschen rot um den Mund. Ich glaube, er braucht mehr Eisen!« Und dann, verstohlen: »Du könntest ihm selbst gemachte Hühnerbrühe in den Pilaw rühren.«
    Falls George tatsächlich krank war, herrschte Alarmstufe Rot. »Wenn er sich elend fühlt, liegt er am liebsten auf dem Sofa, unter einem dicken Federbett, und schaut irgendwas mit Mel Gibson oder Bruce Willis an, und er trinkt dazu Saft und isst Salzchips. Walkers sind wunderbar. Selbst gemachte mag er nicht.«
    Es war, als lebte

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