Meine Schwester und andere Katastrophen
Schätzchen, wir wissen nur, dass deine Mutter wirklich sehr jung war, als sie dich bekam. Zwölf. Was? Was, Geoffrey? Achtzehn. Und eine Scheidung war damals eine Schande, aber unverheiratet schwanger zu werden … Achgottachgott, wir dachten praktisch an nichts anderes, wir hatten schreckliche Angst davor, ich weiß nicht, wie sie so dumm sein konnte, dass sie es so weit kommen ließ! Was für eine Schande, ich kann es dir gar nicht sagen. Du musst sehr schlimm für sie - also, natürlich nicht du -, aber dass deine Mutter schwanger wurde, muss schrecklich für sie gewesen sein, bestimmt war sie furchtbar verzweifelt. Ja, sie hat dich aufgegeben, aber wahrscheinlich hat sie nur das getan, was man von ihr verlangte. Damals hat man sich den Eltern nicht
widersetzt. Wahrscheinlich haben ihre Eltern sie überzeugt, ihr Leben weiterzuleben.« Mummy verstummte mit einem Seufzen. Dann sagte sie: »Heute sieht sie bestimmt überall diese alleinerziehenden Mütter und könnte sich in den Hintern beißen. Wahrscheinlich denkt sie oft an dich.«
Das war eigentlich gar nicht Mummys Art zu reden. Es musste sie große Mühe gekostet haben. Ich erwiderte: »Wenn ich die achtzehnjährige Sarah Paula vor mir sehe, würde ich ihr am liebsten eine reinhauen.«
Mummys Lachen hatte einen leicht hysterischen Anklang. »Ich habe nie verstehen können, wie eine Frau ihr Kind weggeben kann. Aber«, ergänzte sie, »dass sie es getan hat, war ein unglaubliches Glück für uns.«
Ich nickte. Verdammt! Beim kleinsten Anzeichen von Gefühlsduselei geriet ich in Panik. Auf perverse Weise verzehrte ich mich nach Liebesbekundungen, aber wenn ich welche bekam, kostete es mich Überwindung, sie anzunehmen. Einst war ich in meinem weißen Splendid-Top - eines der liebsten Kleidungsstücke von Teri Hatcher in Desperate Housewives, falls es jemanden interessiert - dabei, meine liebste Porzellankaffeekanne abzuspülen, als Mrs Hershlag von hinten an mich herantrat und meine Ärmel hochkrempelte. Ich erstarrte, weil ich unausgesprochene Kritik zu spüren meinte. Dann begriff ich - sie war nur mütterlich! Nicht bevormundend, sondern liebevoll. Nicht einnehmend, sondern hilfsbereit . Wenn ich meine wahre Mutter suchen wollte, sollte ich mich lieber an so etwas gewöhnen.
»Ich rufe später wieder an«, erklärte ich Vivica. »Danke.« Dann lief ich nach oben und setzte mich an den Computer. Ich tippte bei Google »Biologische Mutter finden« ein, und eine Million Links sprangen mir entgegen. Ich klickte auf adoptionfamilynetwork.com . »IHRE GESCHICHTE IM
FERNSEHEN?« Ich kehrte zu Google zurück. Es gab eine britische Website namens helpmefind, auf der Zeile um Zeile, Seite um Seite um Seite die Menschen nach Familienangehörigen suchten.
»Suche leiblichen Sohn, adoptiert in Birmingham 1978 …«
»Jem: sucht Kontakt zu Stan, vermisst …«
»Nicola sucht nach ihrer adoptierten Tochter. Geboren 1979 …« «
»Suche Mum: Joelle, Mexborough? …«
»Adoptierte Frau, geboren 1981, sucht Mutter …«
Mir wurde eisig ums Herz, während ich die Liste nach unten scrollte. Ihr beschissenen herzlosen Drecksäcke. Nach zwei Stunden war ich auf Seite vierzig. Es gab keinen Hinweis auf irgendwen namens Sarah Paula, und ich knallte den Laptop zu.
Eigentlich hätte ich einen anstehenden Fall vorbereiten müssen, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Und dann begriff ich: Ich hatte eine Adresse. Sarah Paula war achtzehn gewesen, sie hatte ganz bestimmt bei ihren Eltern gewohnt, und Menschen, die dich dazu treiben, dein uneheliches Kind wegzugeben, das wohlgemerkt ihr eigenes Enkelkind ist, sind wahrscheinlich nicht besonders abenteuerlustig. Ich war sicher, dass sie immer noch im selben Haus wohnten. Also rief ich bei der Auskunft an und gab Namen und Adresse durch.
»Wäre das B. Blatt?«
»Ja, genau«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen und notierte die Nummer. Dann starrte ich sie an und wählte.
»Hallo?«, fragte eine vornehme Stimme.
»Ist dort das Krankenhaus?«, fragte ich.
»Da haben Sie sich verwählt«, erwiderte meine Großmutter und legte auf.
Nein, habe ich nicht. Es war ein erregender Gedanke. Ich hatte die Macht, dieser Frau einen Herzinfarkt zu bescheren. Es wäre das perfekte Verbrechen. Ich brauchte nur noch einmal anzurufen. Und zu sagen: »Hallo. Ich wollte eigentlich Sarah Paula sprechen. Hier ist Jane Susan. Erinnern Sie sich an mich?« Ihr würde das Herz stehen bleiben, sie würde tot umfallen, und selbst
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