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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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locker, »ich habe ihre Briefe gelesen. Sie hatte ein paar Briefe geschrieben. Und dann hat George zwei Wochen später meinen Eltern erzählt, dass ihm sein Vater zu unserem fünften Hochzeitstag ein Familienerbstück überreichen würde, seine goldene Uhr. Und da fiel meiner Mutter - meiner Adoptivmutter - etwas ein. Sie hatte das völlig vergessen. Ein winziger, goldener Davidsstern. Wir sind Juden, für uns ist das also so was wie ein Kreuz. Meine leibliche Mutter hatte ihn an meinen Strampler geheftet. Ich sah sie vor mir, wie sie den Stern anheftete. Und ich denke, wenn ich das nur gewusst hätte, wenn sie mir das nur erzählt hätten … denn bis dahin hatte ich immer geglaubt, sie hätte nicht … aber das zeigte doch, dass sie … dann hätte ich vielleicht schon früher versucht sie zu finden.«
    Greg schwieg. Dann sagte er: »Das erledigen wir umsonst, Süße. Wird unsere gute Tat für dieses Jahrhundert.«
    »Greg, das brauchst du nicht.« Dabei wünschte ich es mir. Nicht wegen des Geldes, sondern weil ich mich an allem festklammerte, was diese Vereinbarung weniger nach einem Geschäft aussehen ließ, was sie zusammenpresste und ausquetschte, bis sie zu einem winzig kleinen, bedeutungslosen Nichts geschrumpelt war.
    »Trotzdem. Dann habe ich kein so schlechtes Gewissen wegen der anderen schrecklichen Sachen, die wir machen.«
    »Danke«, sagte ich.

    Ich hatte so lange gelebt, ohne meine leibliche Mutter finden zu wollen, dass mir unser Gespräch surreal vorkam. Als würde ich mich in ein fremdes Leben drängen wollen. Vielleicht tat ich das auch. Seit ich Sarah Paulas Briefe gelesen hatte, war es, als wäre die Zeit eingefroren; ich konnte sie mir nur als Achtzehnjährige vorstellen, fast zehn Jahre jünger als ich selbst, meine arme kleine Mummy. Ihre Handschrift war mädchenhaft rund, sie hatte noch Babyspeck - kein Erwachsener in meinem Bekanntenkreis schrieb so. Dass sie inzwischen Mitte vierzig sein musste, war eine befremdliche Vorstellung. Ich sah sie einfach nicht als Frau in mittlerem Alter. Ich versuchte sie mir vorzustellen, aber das überstieg mein Vorstellungsvermögen.
    Ich fragte mich, ob sie wohl in der Nähe wohnte. Zum Beispiel eine Straße weiter. So was hört man hin und wieder - das kommt nicht einmal selten vor. Ein Mann beauftragte Hound Dog, seinen leiblichen Vater zu finden, und dabei stellte sich heraus, dass er als Teenager seinem Vater die Zeitung zugestellt hatte. Ich glaube nicht, dass das nur Zufall war. Ich glaube, in jeder Familie, jeder richtigen Familie, gibt es einen unbewussten Sog, dem man sich unmöglich entziehen kann - so wie das Meer hilflos der Kraft des Mondes ausgeliefert ist.
    Gott sei Dank hatte ich meine Zähne bleichen lassen. Natürlich würde es Sarah Paula nicht stören, wenn meine Zähne schwarz und faulig wären - okay, vielleicht schon, aber nur, weil schwarze, faulige Zähne heutzutage gesellschaftlich inakzeptabel sind und sie nicht wollen würde, dass man mich deshalb mied. Meine schwarzen, fauligen Zähne würden sie persönlich nicht stören, meine ich damit. Und was sollte ich anziehen? Schwierig. Wenn du willst, dass sich ein Mann in dich verliebt, ist es kein Problem, was zum Anziehen zu finden.
Männer sind leicht zufrieden zu stellen. Wenn du dich nicht gerade in Dung wälzt und danach in eine alte Pferdedecke wickelst, kannst du kaum falschliegen. Aber deine eigene Mutter? Nein, eigentlich stellte auch meine eigene Mutter kein Problem dar. Als sie mich das letzte Mal gesehen hatte, war ich ein rotes, kreischendes, blutiges Bündel gewesen. Und doch hatte sie sich nach mir verzehrt , hatte ihr die Trennung physische Schmerzen bereitet, die ich immer noch in ihren Briefen spüren konnte, in denen das Leid aus jeder Seite tropfte. Trotzdem wollte ich, dass sie mich ansah und »Wow« dachte. Und ich wollte, dass sie ihre Tat bereute, selbst wenn ich inzwischen wusste, dass sie nicht allein dafür verantwortlich war. Ich wollte ihr zeigen, was ihr entgangen war. So. Neue Frisur von Michaeljohn . Eine Kollagen-Samt-Luxus-Gesichtspackung in der Wellness-Oase des Dorchester Hotels. Meine schwarzen Schlaghosen von Joseph . Meine burgunderroten Schlangenlederstiefel von Pied à Terre mit den Acht-Zentimeter-Absätzen. Ein reines Leinenhemd unter meinem violetten Nicole Farhi- V-Ausschnitt-Pullover aus reinem Kaschmir. Mein silberner Elsa Peretti -Anhänger mit dem »C« von Tiffany. Meine silbernen Elsa Peretti -Tropfenohrringe, die ebenfalls von

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