Meine Schwiegermutter ist cooler als deine
trifft sich halb Grado (nämlich die gesamte
weibliche Bevölkerung), und man tauscht sich aus. Auf einer Insel mit 9 000 Einwohnern gibt es immer genug zu erzählen, denn jeder kennt jeden, aber nicht genau. Außerdem kommen zwischen Ostern und
Oktober genügend Touristen, die für Gesprächsstoff sorgen. Mal versenkt ein Österreicher seinen Range Rover im Hafenbecken,
mal türmt ein Deutscher nach zwei Wochen aus dem ersten Hotel am Platze, ohne die Rechnung zu bezahlen (aber immerhin hat
er die Bademäntel dagelassen).
Minnie ist unser CNN, unser Restaurant, unsere Backstube, unser Aushilfskindergarten und unsere Änderungsschneiderei. Um ehrlich
zu sein, habe ich keine Ahnung, wie man ohne eine Schwiegermutter mit Würde leben kann. Zumindest hätte ich keine Muße, Bücher
wie dieses zu schreiben, denn ich wäre zu sehr damit beschäftigt, neben meinem 9-Stunden -Schreibtag Hemden zu bügeln, hungrige Mäuler zu stopfen und Geburtstage zu vergessen. Außerdem würde ich dauernd auf meinen
ausgefransten |16| Hosensaum treten, aufs Gesicht fallen und mir die Schürfwunden im Krankenhaus desinfizieren lassen müssen. Tipp am Rande:
Italienische Krankenhäuser bringen’s nicht. Verletzen Sie sich lieber daheim.
Sehen Sie, dieses Buch wird nicht ins Italienische übersetzt. Ich könnte auch schreiben, dass meine Schwiegermutter ein entsetzlicher
Drachen sei, und es würde mir nicht schaden (es sei denn, meine Schwiegermutter kramt ein Wörterbuch hervor und schlägt unter
»entsetzlich« und »Drachen« nach). Nördlich der Alpen ist die Schwiegermutter übel beleumundet; uns Mitteleuropäern ist das
ganze Konzept »Großfamilie« irgendwie suspekt. Ich habe es selten erlebt, dass man in Deutschland mit drei bis vier Generationen
an einem Tisch sitzt, ohne dass es bald zu hässlichen Streitereien kommt, die sich im besten Fall um Politik drehen. Italiener
sind in dieser Hinsicht das am wenigsten neurotische Volk, das ich kenne. Die Familien funktionieren, selbst in der Pubertät
scheint es erheblich weniger Probleme zu geben, aber bei meinen Töchtern habe ich ja noch ein paar Jahre Zeit, um das zu verifizieren.
Ich werde berichten.
Wenn ich jetzt mal in die Verhaltensforschung abschwenken darf: Es ist erwiesen, dass die Mütter von Müttern sich viel mehr
um die Enkel kümmern als die Mütter von Vätern. Das lässt sich in allen Völkern beobachten. Gut, meine Mutter wohnt 1 200 Kilometer weit weg, da ist es schwierig, morgens die Kleinen in der Krippe abzuliefern. Der Hintergrund für diese aufopferungsvolle
Einmischung der mütterlichen Linie scheint zu sein, dass die Mutter der Mutter sich sicher sein kann, dass es ihre Gene sind,
die sie da auf dem Arm trägt, während die Mutter des Vaters ja |17| nie so genau weiß, ob sie da nicht ein Kuckucksei in den Schlaf singt. Wie gesagt, streng verhaltenspsychologisch gesprochen.
Laura ist natürlich über jeden Verdacht erhaben. Zudem sagt man, die Kinder sähen mir ähnlich.
Also: Wer ist Minnie? Das Wichtigste vorweg: Ihr Herz schlägt für den AC Mailand. Das ist nicht nur so dahingesagt. Wenn Milan
verliert, dann hat sie drei Tage lang schlechte Laune. Wenn Milan gewinnt, zerquetscht sie meine jüngste Tochter. Ansonsten
ist sie aber recht cool, auch wenn die Kinder schreien, was ich bemerkenswert finde, da ich ja schon an mir selbst merke,
dass ich mit zunehmendem Alter etwas ungeduldiger werde. Sie feilscht wie ein Weltmeister, sie kennt alles und jeden, sie
weiß immer eine Lösung. Sie wollte auch mal Journalistin werden, aber als innerhalb von 25 Monaten drei Kinder zur Welt kamen, war ihre Bestimmung klar. Sie weiß alles über ›Sturm der Liebe‹, eine deutsche Soap Opera
rund um ein bayerisches Hotel namens Fürstenhof, die in Italien als ›Tempesta d’amore‹ so erfolgreich ist, dass sie um 20 Uhr ausgestrahlt wird.
Manchmal ist sie ein klein wenig zu besorgt, zum Beispiel als mein japanischer Freund Kenji mich in Grado besuchte. Kenji
ist ein 3 7-jähriger Journalist und für einen Japaner doch überraschend groß (gut 190 Zentimeter). Er hat den schwarzen Gürtel in Karate und lebt in Tokio, wo er täglich anderthalb Stunden mit der U-Bahn in seine Redaktion fährt. Eines Tages wollten wir zusammen an den Strand gehen, doch am vereinbarten Treffpunkt erschien
Kenji nicht. Minnie war außer sich vor Sorge. Mein Hinweis, dass man sich um jemand, der sich in einem 1 2-Millionen
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