Meine Seele weiß von dir
Spiegel ansehen, dich erkennen und lächeln.“
Staubpartikel schweben durch die Luft und schimmern im Sonnenlicht. Es scheint ein magischer Moment zu sein, einer der Augenblicke, in denen man an eine höhere Macht glauben kann, an mehr als an das Hier und Jetzt.
„Glaubst du das wirklich, Alfons?“
„Ja.“
„Danke.“
Er nimmt wortlos meine Hand und wir stehen da, nachdenklich, bis die fröhliche Stimme meiner Mutter die Stille vertreibt: „ Alfoohoons !“, ruft sie. „Alfons! Die Mädchen müssen los!“
Zu dritt stehen wir an Lisas Wagen und verabschieden uns. Mutter umarmt uns nacheinander und verabreicht uns einen Stirnkuss. Ihre Augen sind verdächtig feucht und ihr Mund will nicht stillstehen. „Fahrt vorsichtig! Und Lisa, legt zwischendurch eine Pause ein. Ruft an, wenn ihr zuhause angekommen seid. Grüßt Klaus und Leander von mir! Sina, bestell auch Frau Hischer schöne Grüße, hörst du? Und schau dir die Fotos an, die ich dir eingepackt habe. Ach ja, und halte deine Termine bei der Therapeutin ein! Alfoohoons ! Alfons! Die Mäd ...“
Sie verstummt – denn in diesem Augenblick tritt Alfons aus dem Anbau. Er trägt etwas Großes und Schweres, das er in eine alte Decke gehüllt hat. Langsam und vorsichtig überquert er den Rasen, kommt auf uns zu, stellt es behutsam ab und zieht den Lumpen fort. Zum Vorschein kommt die Kopfzerbrochene.
Er räuspert sich, tritt verlegen von einem Fuß auf den anderen und schaut mich an. „Ich möchte sie dir schenken.“
Die letzten Sonnenstrahlen lassen das Metall schimmern, sodass sich Alfons schwarze Gestalt neben der Plastik in deren Schatten zu verwandeln scheint.
Ich bin überwältigt. „Das kann ich unmöglich annehmen.“
„Doch, das kannst du.“
„Sie ist zu kostbar!“
Alfons schüttelt den Kopf. „Nein. Ich habe sie für dich gemacht. Das habe ich dir doch gesagt.“ Er nimmt meine Hand und legt sie auf den geflickten Frauenkopf.
„Danke“, stammele ich. „Danke. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
„Sag halt gar nichts!“
Ich umarme ihn.
Alfons steht steif und hölzern da. Er zögert kaum merklich, dann schließen sich seine sehnigen Arme väterlich um mich.
Meine Mutter und Lisa stehen still daneben, bis wir uns voneinander lösen.
Alfons bittet Lisa den Kofferraum zu öffnen. Sie tut es. Mit vereinten Kräften bringen wir die Skulptur darin unter, dafür müssen wir die Hinterbank runterklappen. Wir stopfen anschließend sorgsam die alte Decke um sie fest.
Die letzten Umarmungen, Küsse von uns, noch mal Stirnküsse von Mutter, Türenknallen, das Geräusch des Motors und Lisas unerlässliches Hupen schwirren durcheinander. Ich drücke auf den Knopf, fahre das elektrische Fenster herunter und winke den beiden Gestalten zu, bis sie kleiner werden, irgendwie durchscheinend und schließlich ganz verschwinden. Wir fahren bereits auf die Autobahn auf, da frage ich Lisa, warum sie Alfons nie erwähnt hat.
„Du kannst ... du konntest ihn nicht ausstehen“, antwortet sie lakonisch. „Schrottheini hast du ihn genannt, verschroben. Und gefunden, dass unsere Mutter einen Besseren verdient hätte als ihn.“ Sie wirft einen Blick in den Außenspiegel und zieht von der Beschleunigungsspur auf die Fahrbahn. „Aber das scheint sich geändert zu haben. Gott sei Dank!“
„Ja“, antworte ich schlicht.
Ich hätte es niemals für möglich gehalten, aber diesmal bin ich froh über meine Amnesie. Ohne sie hätte ich Alfons nie wirklich kennengelernt - was bedauerlich gewesen wäre. Ich habe ihn gern. Wir sind uns ähnlich.
Ich überlege, ob ich Lisa die Geschichte mit der Marmelade erzählen soll, entscheide mich aber dagegen. Wir haben recht, Alfons und ich: Die Geste zählt.
Kapitel 29
Am Sonntag stelle ich die Skulptur in mein Atelier. Außerdem nehme ich den Hinweis, dass ich wegen Krankheit vorübergehend nicht tätig bin, von meiner Homepage. Danach ändere ich die Ansage auf dem Anrufbeantworter entsprechend und sortiere meine Aufträge, die ich noch zu fertigen habe, nach Dringlichkeit.
Erschrocken stelle ich fest, dass es nicht gerade viele sind. Höchste Zeit, dass ich wieder offiziell arbeite und mehr Zeit in meine Kunden investiere. Wenn ich am Donnerstag zu Doktor Yvonne gehe, werde ich sie bitten, mich gesundzuschreiben und dies meiner Versicherung mitzuteilen. Schon ab morgen möchte ich wieder feste Arbeitszeiten einhalten.
Anhand meiner Kontoauszüge stelle ich fest, dass meine laufenden
Weitere Kostenlose Bücher