Meine Seele weiß von dir
Kosten abgebucht werden, auch Frau Hischers Lohn. Gott sei Dank, ich habe bisher überhaupt keinen Gedanken an solche Dinge verschwendet!
Die Ausgaben überschreiten die Zahlungen der Arbeitsunfähigkeitsversicherung zwar nicht; aber nur, weil ich keine Miete oder andere Nebenkosten zu bestreiten habe. Ich komme gerade so über die Runden. Ein Umstand, der mich zwar ein wenig beruhigt, aber nicht ewig andauern kann.
Ich prüfe meinen E-Mail-Eingang und bin erleichtert: Trotz meiner Zwangspause sind mehrere Aufträge eingegangen, darunter zwei ziemlich lukrative von Juwelieren, für die ich anscheinend öfter arbeite.
Private Post ist nicht dabei. Ich lösche einige Spams, sende einen Gruß an meine Schwester, erkundige mich bei Ute, wie es ihr geht, und grüße auch ihren Mann.
Und dann, dann tippe ich auf einmal mit unsicheren Fingern eine Mail an Leander, in der ich zu erklären versuche, was es mit dem Schwangerschaftsabbruch auf sich hat. Und welche Entscheidung ich wegen unserer Scheidung getroffen hatte. Ich bin, scheint es, noch immer zu feige, ihm gegenüberzutreten und ihm die Wahrheit zu sagen.
Mindestens ein halbes Dutzend Mal ändere ich meine Nachricht, bis ich endlich einsehe, dass es keinen Zweck hat. Solche Mitteilungen sind schwer zu formulieren und gehören nicht in eine E-Mail. Ich muss einfach persönlich mit ihm sprechen, ob ich will oder nicht. Folglich bitte ich ihn, sich dringend bei mir zu melden.
Das hört sich wiederum derart förmlich an, dass ich es lösche und stattdessen schreibe: Bitte komm, so schnell es geht. Ich muss dich sprechen. Ich möchte dich sehen. Es ist wichtig. Für mich. Für uns! Sag nicht Nein.
In Liebe
Sina
Mein Herz rast wild und in meinem Kopf rauscht es, als ich die Mail endlich versende.
Um mich abzulenken, schreibe ich ein Gedicht über das Meer, das den Mond liebt, bin aber nicht zufrieden damit. Ich stelle Musik an. Aerosmith. Und ich singe den Text, den ich auswendig kann, mit.
Die Töne und die Worte verwandeln mich. Sie lullen mich ein und versetzen mich in eine tiefromantische, sehnsuchtsvolle Stimmung: genau das Richtige für ein Gedicht. Nun geht mir das Schreiben leicht von der Hand – gleichzeitig facht die Musik mein Verlangen nach Leander an und macht mich ungeduldig.
Also versuche ich, ihn zu erreichen. Aber sein Handy ist ausgeschaltet und bei Isi und Werner geht niemand an den Apparat. Schließlich gebe ich auf und wende mich der in letzter Zeit ziemlich vernachlässigten Freya-Kollektion zu.
Ich will die letzten Smaragdsplitter eines Lindenblattes auf einen schmalen Verlobungsring setzen. Für solche Feinarbeiten nutze ich gern einen sehr traditionellen Arbeitsplatz: das „Brett“.
Der massive Holztisch mit der halbrunden Aussparung und einer speziellen Arbeitsauflage über den Knien, dem Brettfell, das den Verlust von Edelsteinen und Edelmetallen vermeiden soll, steht direkt beim Fenster. Von hier habe ich einen herrlichen Ausblick auf die Kletterrosen, die den Pavillon bedecken. Ich stelle das Fenster auf Kippe. Wärme und Rosenduft ziehen herein.
Ich streife meine Schuhe ab, setze mich und greife nach dem Ring. Vorsichtig bohre ich winzige Löcher in das Metall und drücke die Steinchen hinein. Dabei fällt mir ein, dass das Wort „Schmuck“ sinnigerweise altgermanischen Ursprungs ist und in etwa „hineindrücken“ bedeutet; in ein Gewand beispielsweise.
Ein feiner Goldrand, den ich mit einer Metallsichel über den Smaragd treibe, hält das Steinchen fest. Eine knifflige Angelegenheit, aber das Endergebnis kann sich sehen lassen!
Danach bringe ich einen ersten Entwurf für die Sappho-Serie aufs Papier. Ich habe mich für eine Anstecknadel entschieden: Zwei Veilchen, eines unbedeutend größer als das andere, schmiegen sich auf silbernen Stielen aneinander. Die Blütenblätter werde ich aus geschnittenem Amethyst zusammenfügen und in deren Mitte je einen Diamanten setzen. Für die Blätter wähle ich Jade.
Weit nach Mittag gehe ich barfuß in die Küche und inspiziere den Kühlschrank. Ricks Pralinenschachtel fällt mir ins Auge. Ich nehme sie mit nach oben. Noch auf der Treppe öffne ich die Schachtel und nehme mir eine Praline.
Auf dem Korridor, wo ich den noch immer neu riechenden Teppich unter meinen nackten Füßen spüre, beiße ich sie mit Genuss in der Mitte durch. Sahnecreme quillt hervor, ein nussiges Aroma steigt in meine Nase. Ein Geruch, so intensiv und prägnant wie etwas Stoffliches. Wie Sprühregen
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