Meine Seele weiß von dir
vielleicht, oder Dampf.
Nussiges Aroma.
Nussig.
Nussiger Geruch ...
Und dann setzt meine Erinnerung ein.
Komplett und lückenlos.
Es fehlt nichts mehr.
Ich habe mich wohl tausend Male gefragt, wie es sein wird, wenn es so weit ist. Ein greller Lichtstrahl, der mich durchzuckt? Ein Brausen in meinem Kopf? Unzählige Bilder, die auf mich niederprasseln wie Hagelkörner, mir Schmerzen bereiten und mich unter ihrer Wucht taumeln lassen? Oder Weinkrämpfe, weil ich nicht alles auf einmal ertragen kann?
Nichts davon geschieht.
Ich erinnere mich bloß. So, wie jeder sich erinnert. So, wie ich mich auch in letzter Zeit wieder an Dinge erinnern konnte. Völlig normal. Von einer Sekunde zur anderen ist alles wieder da, von A bis Z abrufbar.
Kein Paukenschlag, keine Trompeten, keine Kopfschmerzen. Kein Schwindel oder Unwohlsein. Nein – die Erinnerung setzt einfach ein. Als wäre sie nie weg gewesen.
Erstaunt darüber stehe ich vor diesem unermesslichen Mosaik meiner Vergangenheit, das plötzlich gestochen scharf daliegt.
Es macht Sinn und fühlt sich nach mir an. Und es ist nicht meine Erinnerung, die meine Beine kraftlos macht, sondern die Emotionen, die sie auslöst.
Die Pralinenschachtel fällt aus meiner Hand. Langsam gehe ich zu Boden und betrachte mein Mosaik.
Kapitel 30
Es war der 15. Januar , Leanders Geburtstag, als ich es ihnen sagte.
Im Kamin brannte ein Feuer. Wir saßen mit drei Pärchen im Essbereich unseres Wohnzimmers: Rick und Monika, die zu der Zeit bereits schwanger war, Lisa und Klaus, Leander und ich.
Zur Feier des Tages gab es Fondue. Alles stand auf dem Tisch bereit, das Öl fing bereits an zu brodeln und gleich würde Leander fragen, was jeder trinken wollte: Bier, Wein, Wasser oder Saft.
Das Herz klopfte mir bis zum Hals, denn dies war genau der Moment, auf den ich gewartet hatte. Als Leander mich als Letzte fragte, ob ich ein Glas Rotwein wollte, und der Flaschenhals schon über meinem Glas schwebte, antwortete ich: „Nein. Ich nehme das Gleiche wie Monika. Und zwar für die nächsten 32 Wochen.“
Meine Schwester begriff zuerst. „Ich werde Tante!“, schrie sie, stand auf und umarmte mich. Einer nach dem anderen tat es ihr nach. Alle lachten und überhäuften mich mit Fragen:
„Ich bin in der elften Woche“, rief Monika. „Und du?“
„Ziemlich genau in der achten, ich ...“
„Gratuliere!“ Klaus griff nach meinen Händen und drückte sie. „Das ist eine tolle Neuigkeit. Weiß es eure Mutter schon?“
„Nein. E igentlich wollte ich so früh noch gar nichts sagen, das Baby soll nicht vor Ende August zur Welt kommen, und ich war erst gestern bei Doktor Bornfeld - aber ich konnte es einfach nicht länger ...“
„Das ist toll“, warf Monika ein. „Wieder werden zwei Hohwachtkinder zusammen aufwachsen!“ Sie küsste mich auf beide Wangen und grinste zu Leander rüber, der noch immer mit der Flasche in der Hand dastand, als wollte er mein Glas füllen.
Sein Cousin gratulierte ihm, ziemlich verhalten, indem er ihm flüchtig die Hand schüttelte.
Das wiederum schien Leanders Erstarrung zu lösen. Er stellte die Flasche ab, riss mich vom Stuhl und zog mich in seine Arme.
Sagen konnte er zwar immer noch nichts, aber die Feuchtigkeit, die in den grünen Tiefen seiner Augen auftauchte, verriet, wie es um ihn stand.
„Wie ... wie konnte das passieren, Sina-Mareen?“, raunte er mir ins Ohr.
„Da fragst du noch“, flüsterte ich zurück. „Du warst doch dabei.“
An meinem Wangenknochen spürte ich, wie sich seine Lippen zu einem Lächeln verzogen.
Auch beim Essen drehte sich das Gespräch noch lange um die neue Generation Hohwacht, wie Leander die Babys nannte.
Wir beschlossen, dass er und ich unsere Motorradtouren, die wir regelmäßig unternahmen, so lange beibehalten würden, wie ich körperlich dazu in der Lage war und auf den Soziussitz passte.
Unsere Saunabesuche dagegen, die Leander und ich alle vier Wochen mit Rick und Monika machten, wollte ich absagen. Denn seit Beginn der Schwangerschaft hatte ich ziemliche Kreislaufbeschwerden.
Später, im Bett, versprach Leander, dass er beruflich kürzer treten würde, sobald das Baby da wäre.
„Im Ernst“, versicherte er mir. „Das hatte ich sowieso geplant. Wenn ich geahnt hätte, wie zeitintensiv Tonaufnahmen für ein Hörbuch sind, hätte ich sicherlich nicht so rasch zugesagt.“
Ich glaubte ihm.
Doch erst einmal musste er seine Verpflichtungen erfüllen. Das bedeutete, dass ich
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